Interessant, interessant! – Straßentheater und Kopfkino

Gestern, gegen Abend erst, erhellte sich der Tag. Zuerst war die Sonne noch blass verschwommen und guckte etwas kränklich durch die Wolkendecke, doch als ich zu Hause war, da zeigte sie sich plötzlich in ganzer Pracht – und beschien eine seltsame Szene auf der Straßenecke vor meiner Haustür.

Die Straße knickt dort ab, und im Rund dieses Knicks, hatten sich auf dem Bürgersteig unten Leute versammelt. Auch mein Unternachbar stand dort. Quer in das Straßeneck war ein Polizeiauto geparkt, aus der Gegenrichtung ein weiteres, und da stand sogar ein grüner Polizei-Mannschaftsbus weiter hinten. Polizisten standen auf der Straße. Ein Polizist versperrte einer Frau den Durchgang, die mit ihrem Einkauf daherkam, und an seinem ausgestreckten Arm hielt er ein Funkgerät in der Hand. Plötzlich war der heitere Himmel vom Knattern eines Polizeihubschraubers erfüllt. Die Zuschauer unten plauderten vergnügt. Für einen Moment hatte ich den Impuls, hinunterzugehen und nachzufragen, was das für ein Straßentheater wohl wäre. Aber ich konnte mich nicht entschließen. Und plötzlich, als ich wieder aus dem Fenster schaute, waren alle Zuschauer weg, wie auch die Polizeifahrzeuge und der Hubschrauber. Sogar mein Unternachbar. Interessant, interessant.

Vorher hatte
ich mit Shhhhh vor der Biobäckerei in der Limmerstraße gesessen. Im Kinderwagen lag sein vier Monate alter Sohn. Plötzlich wurde er unruhig, und Shhhhh nahm ihn in den Arm. Da guckte dieser kleine Mensch so aufmerksam in die Welt, lächelte sogar und begann zu erzählen. Er sagte natürlich nicht Schillers Lied von der Glocke auf, es war auch noch kein Deutsch oder irgendeine Sprache. Aus dem, was der Säugling redete, kann jede Sprache der Welt werden. Seine noch unartikulierten Laute sind quasi der Stoff, aus dem Sprache gemacht wird. Die Ursprache des Menschen ist das Lallen. Lallend macht er sich ein Bild von der Welt. Wenn er fünf Jahre alt ist, hat er über positive Verstärkung die Laute und die Grammatik seiner Muttersprache gelernt und das Weltbild verinnerlicht, das in seiner Sprache enthalten ist. Dann hält er dieses abstrakte Gemälde für das zutreffende Abbild seiner Welt. Und wenn die sprachliche Abstraktion der Welt und die Phänomene nicht zusammenpassen, dann sagt er als Deutscher „unbeschreiblich“, „unfassbar“, „rätselhaft“ oder „Quatsch!“

Man möchte glatt wissen, wie das vorsprachliche Gemälde eines Säuglings aussieht, welche ersten Striche gemacht werden, wo die Farbtupfer liegen. Man muss das aber nicht enthüllen, allein die Idee der Entwicklung eines solchen Bildes beim Säugling ist hübsch genug. Auch später als Erwachsener muss man nicht alles wissen, auch nicht, warum ein Polizeihubschrauber über einer Straße kreist, falls man nicht zufällig ein Bankräuber ist.

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