Vom vermeintlichen Jammern der Ligatur st

Dass Trennungen schmerzhaft sind, kann sich jeder vorstellen, weshalb ein Merksatz wie „Trenne nie st, denn es tut ihm weh“ sich erfolgreich in das kollektive Bewusstsein der schreibenden Deutschen eingegraben hat. Ach, wie habe ich als Kind mit dem armen st gelitten, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wie und wo es denn Weh empfinden kann. Erst viel später wurde mir klar, welchen Unsinn man in meine kindliche Seele gepflanzt hatte. Einige von uns haben diesen anthropomorphen Quatsch derart verinnerlicht, sie kommen davon gar nicht mehr los. Ein Herr Jan Pieter Schulz beispielsweise, der im Internet schreibt:

„ich bin ein Anhänger der alten deutschen Rechtschreibung und habe unter OOo 1.1.0 sämtliche deutschen Sprachmodule installiert und festgelegt, daß meine Texte in alter deutscher Rechtschreibung geschrieben sind. Trotzdem trennt die Silbentrennung st, was streng verboten ist (trenne nie st, denn es tut ihm weh). Auch die richtige Trennung von ck ist mir noch nicht gelungen (Beispiel: Aus Rücken wird Rük-ken). Was tun?“

Jan Pieter Schulz könnte folgendes tun, wenigstens die Trennung von ck nach alter Rechtschreibung lernen, denn in ihr wurde Rücken immer schon Rük-ken getrennt. Bei ck handelt es sich nämlich um eine eugraphische Schreibweise, anders gesagt, ck sieht einfach besser aus als die Verdopplung kk. Die Trennung Rü-cken ist neue Rechtschreibung. Er sollte sich vor allem fragen, wer mit welchem Recht „streng verboten“ hat, st nicht zu trennen. Er könnte die Ligatur st probeweise trennen, um zu hören, ob da von irgendwo ein Schmerzlaut käme. Dreimal müsste reichen, das st-Gejammer hervorzurufen: „s-t, s-t, s-t!“. Da wird er gar nichts hören, denn Sprache ist kein Körper, obwohl man ihr nachsagt, sie wäre lebendig. Das wörtlich zu nehmen, ist Sprachmagie.

Wie aber kam
das strenge Verbot in die Welt? Schuld sind wie so oft die Druk-ker. Das st war in der Bleischrift auf einen Kegel gegossen, um den Handsatz zu beschleunigen. Trennte man st, wurde ein Handgriff mehr daraus. Das hätte den Handsatz verlangsamt. Weh hätte das nur den Buchdruckern im Portemonnaie getan, weshalb sie das Trennverbot vom Duden verlangt haben. Spätestens mit dem Computersatz hatte sich das widersinnige Verbot der st-Trennung erledigt, denn es gibt auf der Tas-tatur keine Tas-te für die Ligatur st. So dürfen wir heute nach Lauttreue bzw. silbengemäß trennen. Nur Jan Pieter Schulz nicht. Dem ist es streng verboten.

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