Vorwaerts nach weit – und hoch hinaus in Hannover-Linden

„Wir sind zu neun Mann“, erklärt die junge Künstlerin von „strebtvorwaerts“. „Sind offenbar auch Frauen dabei“, sage ich. „Ja, zwei“, sagt sie lächelnd. Die Gruppe hat sich zusammengefunden, um eine Wandfläche von 220 Quadratmetern zu gestalten. Initiator ist der Künstler Michael Scheller. Er lebt in Hannover-Linden, ist täglich an der damals hässlichen Giebelwand in der Velberstraße vorbeigelaufen. Kürzlich wurde ein Gerüst für Dacharbeiten aufgebaut. Da hat Scheller die Gelegenheit genutzt und mit dem Hausbesitzer ausgehandelt, die 19 Meter hohe Brandmauer bemalen zu dürfen. Das Geld für die Farbe kommt vom Hausbesitzer und von Geschäftsleuten aus dem lebendigen Stadtteil Hannover-Linden, denn „Linden soll schöner werden“, ist das erklärte Motto. Sponsor ist außerdem die Initiative Bum-Bier, die sich das Ziel gesetzt hat, junge Musiker über den Bierverkauf zu fördern, weshalb auf dem rückwärtigen Etikett die kommenden Konzerttermine abgedruckt sind.

Der Name „strebtvorwaerts“ der Künstlergruppe ist ein Zitat aus dem Text „Hannover“ des Hannöverschen Dadaisten und Merzkünstlers Kurt Schwitters. Die Hannoveraner sind stolz auf diesen Text, haben ihn in eine Metallplatte gegossen und in das Pflaster einer Altstadtstraße eingelassen, um sich und Schwitters zu ehren. Es ist freilich nur eine kleine Ehre, da sie täglich von vielen Touristen mit Füßen getreten wird. Da ist das Wandbild viel besser, denn die jungen Künstler haben sich von Schwitters Und-Bild inspirieren lassen.

Vor einigen Tagen, das Wandbild ist beinah fertig. Ein Kameramann filmt die Wand ab. Sein Regisseur schiebt ihn mehrfach über eine genau berechnete Bahn, denn der Schwenk soll offenbar auf einem Stativ auskommen, das zentral vor der Wand postiert ist. „Wo ist denn der Initiator des Graffito?“, frage ich. Der Regisseur fühlt sich gestört, aber da kommt Michael Scheller schon. Er hat Erfrischungsgetränke geholt, stellt sie neben einen schwarzen Regiestuhl und sinkt hinein, denn es ist schrecklich heiß. „Die Flaschen müssen hier weg!“, sagt der Regisseur grimmig. Sie passen nicht in sein Bild. Michael Scheller fügt sich, stellt die Flaschen weg, und weil er auch nicht da sitzen bleiben darf, sucht er sich mit mir einen schattigen Platz am Rand des Parkplatzes. Die Medien haben sich des strebt-vorwaerts-Projektes angenommen, da ist auch der Künstler machtlos. Innerhalb von zwei Wochen ist er von den Zeitungen vom Anwohner, zum Mieter und jetzt in der Neuen Presse zum Besitzer des bemalten Hauses befördert worden. Die Kollegen nehmens halt nicht so genau.

Ich bin beeindruckt von ihm und seinen Mitstreitern, wie sie sich eine Aufgabe gestellt, alles Nötige selbst organisiert und mit großer Beharrlichkeit zwei Wochen in der Wand gearbeitet haben. Sie haben dabei nicht nur Kurt Schwitters, sondern auch sich ein Denkmal gesetzt, aber eines, das vorwärts strebt: „Jetzt können wir uns die nächsten 25 Jahre daran erfreuen“, sagt Scheller, „so lange hält das.“

Am Freitag, dem 1. Juli ab 15 Uhr ist Vernissage. TRETET dAdA REIN!

Wie das Und-Bild von Kurt Schwitters zum Wandbild transformiert wurde – Entwurf der Gruppe strebtvorwaerts



(Flyer der Gruppe „strebtvorwaerts“)

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12 Kommentare zu Vorwaerts nach weit – und hoch hinaus in Hannover-Linden

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