Teestunde (6) – ich bin nicht sitt und auch nicht schmöll

Schriftwelt im AbendrotFrüh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen unterschiedlich lange Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags.
Heute: die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS)

Über ihre Aufgaben und Ziele schreibt die GfdS auf ihrer Homepage: „Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist eine politisch unabhängige Vereinigung zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache. Seit ihrer Gründung im Jahre 1947 sieht sie es als ihre Aufgabe an, in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die deutsche Sprache zu vertiefen und ihre Funktion im globalen Rahmen sichtbar zu machen. Die GfdS hat sich zum Ziel gesetzt, die Sprachentwicklung kritisch zu beobachten und auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung Empfehlungen für den allgemeinen Sprachgebrauch zu geben.“

Vereinslogo GfdSAnders als der Verein behauptet, wurde er bereits 1885 als Allgemeiner Deutscher Sprachverein gegründet, unter Vorsitz des Braunschweiger Museumsdirektors Hermann Riegel. Ziel war die Reinigung der deutschen Sprache von Fremdwörtern. Der Kölner Germanist Fritz Tschirch schreibt, mit Riegels Vorsitz sei dem Sprachverein der „Fluch des Dilettantismus in die Wiege gelegt“, dem sich der Verein nie mehr zu entziehen vermocht habe. Das Organ des Vereins war die „Muttersprache“. Freudig begrüßte die „Muttersprache“ im April 1933 die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Bis 1939 trieb man exzessive Fremdwortjagd. Neben den skurrilen Eindeutschungsvorschlägen zu Automobil (Zerknalltreibling) oder Elektrizität (Bern); (E-Lok = Bernzieh) gebar der Verein auch ein wunderbar selbstentlarvendes: aus Profil sollte Gebüge werden. Ja, das kann man sich fein vorstellen, wie im 3. Reich die Menschen mit Profil durch die hundsföttisch Gebogenen verdrängt wurden. Dem Verein nutzte alle Kriecherei nichts. Mit der von Hitler per Erlass verfügten Umstellung von Fraktur auf Lateinschrift kam 1940 auch das Aus für die Fremdwortjagd. Das Vereinsblatt „Muttersprache“ war schon im Jahr zuvor verboten worden. Der Verein war den Nazis mit seiner provinziellen Deutschtümelei peinlich geworden.

gfds1947 konstituierten sich die alten Herrschaften wieder, unter dem neuen Namen „Gesellschaft für deutsche Sprache“. Das Vereinsblatt heißt weiterhin „Muttersprache“. Fremdwörter mag man immer noch nicht. Den vom Verein 1987 gestifteten „Medienpreis für Sprachkultur“ bekam als erster der WDR-Hörfunk-Journalist Klaus-Jürgen Haller. Haller, ein Sprachpapst von eigenen Gnaden, polemisiert in seiner Preisrede „Vom Niedergang eines Handwerks“ gehorsam gegen den Gebrauch von Fremdwörtern: „Nichts gegen Lehnwörter, aber wer einen Gedanken nicht deutsch formulieren kann, könnte ihn nicht zureichend verstanden haben.“ Gemeint sind nicht Lehnwörter, sondern Fremdwörter, doch dieser unlogisch verschwurbelte Satz widerlegt Hallers eigene These. Er wird auch nicht besser, wenn man das Fremdwort „formulieren“ durch „ausdrücken“ ersetzt. Vielleicht war es erneut der „Fluch des Dilettantismus“, der den Verein dazu trieb, mit Haller einen Preisträger zu küren, der sich brüstete, die Entwicklung der Sprachwissenschaft der letzten 10 Jahre verschlafen zu haben.

Schon Goethe hatte für Sprachreiniger nur Spott übrig. So schrieb er 1801 an Joachim Heinrich Campe, den Verfasser des „Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke“:

Sinnreich bist du, die Sprache
von fremden Wörtern zu säubern.
nun sage doch, Freund, wie man
Pedant uns verdeutscht?

Wie die Kleingärtner alljährlich ihre dicksten Kohlköpfe herzeigen, so präsentiert die GfdS traditionell „Wörter und Unwörter des Jahres“ und eine Hitparade der Vornamen. Finanziert wird die Spielerei zu 80 Prozent aus öffentlichen Mitteln. Immer wieder mischte sich die GfdS auch in die Diskussionen um Orthographiereformen, und man gestattet ihr sogar, Vertreter in den Rat für deutsche Rechtschreibung zu entsenden.

Ebenso könnte man aber den Kleingärtnern erlauben, den Regenwald zu jäten. Ab und zu murkst die GfdS auch ein bisschen am Wortschatz herum. 1988 suchte man ungebeten einen „angemesseneren und humaneren Ausdruck für das `Retorten-Baby'“ und fand nach einem öffentlichen Wettbewerb den erbärmlichen Vorschlag „IVF-Kind“ preiswürdig:

„Die Abkürzung für `In-vitro-Fertilisation` (Befruchtung im Reagenzglas) wurde als bester Vorschlag zur Übernahme in den allgemeinen Sprachgebrauch angesehen, wie die GfdS mitteilte.“
(dpa vom 12.8.1988).

„Genauso haben wir uns das Humanum immer vorgestellt“, höhnte darauf die Süddeutsche Zeitung in ihrem STREIFLICHT. 1989 wollte der Verein die Deutschen aus einer anderen Bezeichnungsnot erlösen. Es fehle in der deutschen Sprache das Gegenstück zu „satt“, wenn man genug getrunken habe, also nicht mehr durstig ist. Wieder lobte man einen Preis aus und bekam auch das entsprechende Medienecho. Leider weiß ich nicht mehr, welches Kunstwort man prämierte. Es ist im Sprachgebrauch jedenfalls nicht aufgetaucht.

Uns allen fehlt ein WortNebenbei:
Im Sommer 1999 wandte sich die Dudenredaktion zusammen mit Lipton Ice Tea mit einer Neuauflage der Frage an die Schulen: „Uns allen fehlt ein Wort“, behauptete man. Die vermeintliche Lemmalücke sollte diesmal mit Lehrerschweiß, Schülergehirnschmalz und Ice-Tea geschlossen werden. Preiswürdig fand man das Wort sitt. Was in Wahrheit fehlte, war Verstand, denn Wortbildung per Preisausschreiben funktioniert einfach nicht, was zumindest die Dudenredaktion hätte wissen müssen.

Die GfdS und Duden/Lipton Ice Tea hatten zwei Aspekte übersehen: Erstens war die Frage nach einem Antonym zu durstig schon 1975 gestellt worden. Der Satiriker und Dichter Robert Gernhardt veröffentlichte damals in „Welt im Spiegel“, einer Satire-Beilage der Pardon, den Brief eines fiktiven Herrn Schmöll. Schmöll wollte seinen Namen als Wort für satt getrunken zur Verfügung stellen. „Magst noch was trinken? Nein, danke, ich bin schmöll …“ Gernhardts Kollege Bernd Eilert griff den Jux 1987 in seinem „Hausbuch der literarischen Hochkomik“ auf, um einen Auszug aus Hamsuns „Hunger“ anzumoderieren. Hier wird wohl ein Mitglied der GfdS darauf gestoßen sein, die Quelle wurde aber verschwiegen.

Zweitens ist die Frage wirklich rein akademisch. Wir vermissen keine Bezeichnung, weil das Trinken kein echtes Sättigungsgefühl vermittelt. Anderenfalls käme man ja mit flüssiger Nahrung aus, nach dem Motto: Das bisschen, was ich esse, kann ich auch trinken. Der weltkluge Egon Erwin Kisch hatte es lange zuvor schon auf den Punkt gebracht:

Die Liebe gleicht dem Trinken
Man wird davon nicht satt,
Wenn man auch viel geliebet
Und viel getrunken hat.


Die Beschränkung beim
Trinken ist eher vernunftsgesteuert, wie eine alte Dame, die ich kannte, abends höchstens eine Tasse Tee trank, damit sie nachts nicht aufs Klo musste. Nie kriegt man vom Trinken richtig satt, drum kann man, wenn man will, saufen bis zum Umfallen. Die GfdS und andere Sprachreiniger wären schon ein guter Grund.

7. Teestunde

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48 Kommentare zu Teestunde (6) – ich bin nicht sitt und auch nicht schmöll

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