Teestunde im Teppichhaus (5) – Hübsches Kauderwelsch

Teestunde im Teppichhaus02Früh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen unterschiedlich lange Beiträge zu den Bedingungen von Lesen und Schreiben, heute leider etwas spät – ein Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags. Heute gehts um Fremdwörter.

Das Duden-Fremdwörterbuch hat fast so viele Einträge wie der Rechtschreibduden. Natürlich sind viele der dort aufgelisteten Fremdwörter kaum bekannt. Was zum Beispiel bedeutet „Isanemone“? Ich fand es gerade, indem ich im Fremdwörterbuch gedäumelt habe. Däumeln ist übrigens eine Praxis des Orakelns. Man tat es früher mit der Bibel. Daumen rein und nachlesen, welche Botschaft sich dort befindet.

Die Isanemone (gr.-nlt.) ist eine Linie, die Orte gleicher Windgeschwindigkeit verbindet. Wann hast du das zum letzten Mal gemacht? Noch gar nicht? Dann bist du vermutlich kein Meteorologe. Viele Fremdwörter sind fachsprachlicher Natur. Sie begegnen uns im Alltag selten oder nie. Andere sind uns so geläufig, dass wir sie nicht mehr als Fremdwort empfinden, das Wort Natur zum Beispiel. Trotzdem wollte der Allgemeine Deutsche Sprachverein in der Zeit des Nationalsozialismus unter anderem auch Natur durch ein deutsches Wort ersetzen: Zeugemutter. Jagd auf Fremdwörter, wie sie besonders heftig zu Beginn des Nationalsozialismus betrieben wurde, ist das Produkt einer eifernden Nationalgesinnung. „Fremdwörter sind die Juden der Sprache“, urteilte Adorno später, womit er die unheilige Brisanz der Fremdwortjagd in ein fassbares Bild überträgt.

fairspieltAnders als Eiferer behaupten ist die Verwendung eines Fremdwortes immer dann legitim und überaus sinnvoll, wenn es einen Bedeutungsbereich bezeichnet, den es in der jeweiligen Sprache nicht gibt. Indem es zwischen den Sprachen unzählige Wörter gibt, deren Bedeutung nicht deckungsgleich ist, gleicht jeder Purismus dem Versuch, das Denken und Ausdrücken zu kanalisieren. Bei genauer Betrachtung wird sich kein einziges Wort finden, das eine völlige Entsprechung in einer anderen Sprache hat, von den Internationalismen wie Hotel oder Taxi einmal abgesehen. Der Deutsche spricht Englisch zum Beispiel als Deutscher, er kann sich beim Erlernen des Englischen als Fremdsprache nur die Bedeutung eines Wortes aneignen, seine Gefühlswerte jedoch allenfalls erahnen. Ein Kid ist eben kein englisches Kind, mit Kid ist in Deutschland ein globalisiertes Kind gemeint.

Der deutsche Sprecher fügt dem englischen Wort immer auch eigene Gefühlswerte und Assoziationen hinzu, die einem Engländer nicht einfallen können. So kann zum Beispiel die Klanggestalt eines Wortes an ein völlig anderes der eigenen Sprache erinnern, so dass dieser Anklang ungewollt immer mitschwingt. Darum ist der Gebrauch eines Fremdwortes immer die deutsche Gebrauchsweise des Wortes. Sie mag sich von der muttersprachlichen Gebrauchsweise erheblich unterscheiden, was sich auch darin zeigen kann, dass ein Fremdwort ein deutsches Suffix bekommt wie etwa die Infinitivendung –en bei downloaden, mailen oder ein Präfix wie ansurfen, anmailen oder spielerisch mit einem deutschen Wort zusammengesetzt wird wie in fairwöhnt.

Die Übernahme eines Fremdwortes ist also eine Adaption zur Erweiterung des eigenen Wortschatzes. Im häufigsten Fall erlöst sich der Sprecher damit aus einer empfundenen Bezeichnungsnot. Darum ist jede Fremdwortjagd auch töricht. Denn wenn einem Sprecher der Zugriff auf Bedeutungsbereiche verwehrt wird, für die er in seiner Sprache keinen treffenden Begriff zu finden glaubt, zwingt man ihn, in einer Welt der weiten Horizonte auf den ausgefahrenen geistigen Furchen seiner Vorfahren durch einen Hohlweg zu fahren. Die Entscheidung für den Gebrauch eines Fremdwortes ist subjektiv, die grundsätzliche Verdammung des Fremdwortes hat ihre Ursachen im kulturellen Minderwertigkeitskomplex.

Eigentlich ist sogar der modische Gebrauch von Fremdwörtern legitim, wenn die Fremdwörter zum Soziolekt gehören, beispielsweise dem einer Berufsgruppe. Nur wer seinen Soziolekt außerhalb der sozialen Gruppe verwendet, wem es also an Sprachkompetenz mangelt, der macht sich dumm und lächerlich.

Wer anschaulich schreiben möchte, sollte allerdings nur wenige Fremdwörter benutzen. Deutsche Wörter haben für Deutschsprachige einfach einen höheren Bedeutungsgehalt. Sie sind konkret, Fremdwörter sind abstrakt. Die deutsche Entsprechung zu konkret ist anschaulich, greifbar. Das wollte ich hier einmal konkret machen. 😉

6. Teestunde

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