Teestunde (7) – Alte Esel jubeln ohne Unterlass

Schriftwelt im AbendrotFrüh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen unterschiedlich lange Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags. Heute: Die Vokale

Vokale in Scharlachkleidern 02Rot gewandet, von königlichem Rang, die herrschenden Buchstaben im Alphabet, das sind die Vokale, zu deutsch Selbstlaute. Dieses hohe Ansehen kommt den Vokalen in allen Alphabeten zu. Bereits im alten Ägypten priesen die Priester die Götter durch die sieben Vokale, die sie der Reihe nach ertönen ließen. Im Arabischen bedeutet „vokalisieren“ das selbe wie „mit roter Farbe zeichnen“, Rot aber ist allein den Herrschern vorbehalten.

AEIOY
ist der Name Jehovas bei den Juden, der nicht ausgesprochen werden kann, da er nur aus Vokalen besteht, deren wahrer Klang den Menschen bis zum Jüngsten Tag verborgen ist. Die Kehrseite findet sich im spätantiken Mithraskult, hier ist das AEIOU Teil verschiedener Beschwörungsformeln, mit deren Hilfe die Dämonen angerufen werden.

Die Abfolge der Vokalreihe entspricht ihrem Auftreten im ABC, wobei die Reihenfolge der Überlieferung nach kein Zufall sein soll. Nach Dornseiff steht bei Suidas, Abraham habe die Buchstaben erfunden. Zum Schluss heiße es: „Gott öffnete dem Menschen den Mund zur Sprache mit dem Laut, der das weiteste Öffnen erheischt.“ (Das ist das A.) Der Linguist Florian Coulmas bestreitet einen Sinn in der Alphabetfolge. Sie sei eher zufällig entstanden und deshalb so unsystematisch. Sinnvoll wäre eine getrennte Auflistung von Vokalen und Konsonanten.

Vokale und Konsonanten

Nach Hrabanus Maurus
verschlüsselte der Hl. Bonifatius (672/675 – 754) seine Texte, indem er allein die Vokale verfremdete. An ihrer Stelle verwendete er Punktierungen, bei denen jedoch die geläufige Abfolge durchbrochen war.
Geheimschrift bonifatius 03Dem heutigen Leser mag diese schlichte und leicht zu entschlüsselnde Form der Kodierung als Geheimschriftverfahren ungeeignet erscheinen. Trotzdem fand sie im Mittelalter große Verbreitung. Offenbar sah man in der Ersetzung (Substitution) durch Punkte und in der Verwürfelung der Vokale, also im Bruch mit der vorgegebenen Abfolge, einen ausreichend sinnverwirrenden Verstoß gegen gängige Vorstellungen, dem ein einfacher unbefugter Leser nicht gewachsen war.

Mit der Vokalenfolge
verbinden sich auch im jüngeren Volksglauben eine Reihe magischer Vorstellungen. AEIOU findet man als Beschwörungsformel auf Amuletten und Schutzbriefen gegen Zauberei und Unheil.

MitlauterAEIOU lautet das bekannte Motto Österreichs, von ungewisser Herkunft. Es ist erstmals etwa 1450 belegt und hat zahlreiche Erklärungsversuche erfahren. Nach Kaiser Friedrich III. bedeutet es: En Amor Electis Injustis Ordinat Ultor. Andere Auslegungen: Austriae est imperare orbi universo (Es ist Österreich bestimmt, die Welt zu beherrschen); Austria erit in orbe ultima (Österreich wird ewig sein); Austria est imperium optime unita (Österreich ist ein aufs Beste geeinigtes Reich) … Der Volksmund hat eigene Interpretationen, zum Beispiel: Also Eigentlich Ist’s Ohnehin Unwichtig; Alte Esel j(i)ubeln ohne Unterlass …

Lichtenberg schlägt ein skurriles akustisches Experiment mit dem umgekehrten AEIOU vor, ohne zu erklären, warum man AEIUO rufen sollte.

Auch in der ungewollt komischen Vokalentheorie des Kapellmeisters in Wilhelm Heinses „Hildegard von Hohenthal“ wird das AEIOU gerufen:

Für alles, was aus unserem Innern unmittelbar selbst kommt, ist der Vokal der wesentliche Laut.

Der Wilde sieht etwas Schönes von weitem und ruft: A!
Er nähert sich, erkennt es deutlich, und ruft E!
Er berührt es, wird von ihm berührt, und beyde rufen: I!
Eins will sich des anderen bemächtigen, und das,
welches Verlust befürchtet, ruft: O!
Es unterliegt, leidet Schmerz und ruft: U!

So unverfälscht können sich die Gefühlswerte natürlich nur in den Urlauten des Wilden äußern, dem in der Vorstellung des Kapellmeisters die Worte noch fehlen, da er dem Es noch näher ist als dem Ich. Bei den höher entwickelten Völkern muss man die Ausdruckswerte der Vokale in den Wörtern aufsuchen. So etwa verfährt Josef Weinheber (1892-1945) in seiner „Ode an die Vokale“:

gruftdunkles UDunkles, gruftdunkles U, samten wie Juninacht;
Glockentöniges O, schwingend wie rote Bronze:
Groß und Wuchtendes malt ihr:
Ruh und Ruhende, Not und Tod.
Zielverstiegene I, Himmel im Mittagslicht,
Zitterndes Tirili, das aus der Lerche quillt:
Lieb, ach Liebe gewittert
Flammenzüngig aus deinem Laut.

Auch Ernst Jünger mystelt in seinem „Lob der Vokale“:
Ernst Jünger mystelt

Der modernen Sprachwissenschaft ist die Lautsymbolik peinlich, weil sie der seit Saussure (1857-1913) gängigen Vorstellung von der Arbitrarität sprachlicher Zeichen widerspricht. Nach Saussure besteht kein naturgegebenes Verhältnis zwischen Form und Bedeutung eines Wortes, der Zusammenhang von Lautkörper und Wortinhalt beruht allein auf der Konvention der Sprachgemeinschaft. So überzeugend die von Weinheber und Jünger zusammengesuchten Wortbeispiele auch wirken mögen, der Klang der Vokale transportiert keinen geheimen Inhalt. Diese Form der Lautsymbolik ist eindeutig sprachmagisch, denn sie beruht auf einem Zirkelschluss: Den Vokalen werden bestimmte Ausdruckswerte zugewiesen, worauf man in der eigenen Sprache Wörter sucht, die entsprechende Denotationen (Bedeutungen) und Konnotationen (Gefühlswerte) aufweisen. Wörter, die nicht in dieses Konzept passen, werden ignoriert. Beispiel u: Gruft, dunkel, Grube; hierzu lassen sich leicht Gegenbeispiele finden, in denen das U gar nichts Dunkles hat: Luft, Duft, Mut.

In den Setzkästen der Buchdrucker sind die Kleinbuchstaben aus ökonomischen Gründen nicht nach dem Alphabet, sondern nach Buchstabenhäufigkeit angeordnet. Trotzdem findet sich auch hier ein heimlich irrationales Festhalten am AEIOU. (Die Reihen müssen von unten nach oben gelesen werden, denn die Schrift steht im Bleisatz verkehrt herum.)
uoiea im Setzkasten

Erst die Schreibmaschinen-Tastatur folgt tatsächlich keiner überlieferten Logik, obwohl die ursprüngliche Abfolge noch erkennbar ist, die ja nur aus mechanischen Gründen aufgegeben wurde. Die Universaltastatur des Maschinengewehrfabrikanten Remington gibt mit der Reihenfolge AEUIO einen Ausdruck des modernen Heidentums; AEUIO dient allein den Götzen Technik und Profit.

8. Teestunde

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