Online Lesenacht – 2 – Preußisch Blau

Du schaust an dir hinab und trägst eine blaue Uniform. Sie hat silberne Litzen, denn du bist nur ein königlich preußischer Untertelegraphist. Der mit den goldenen Litzen neigt sich zur Wand und schaut durch ein Fernglas. Du siehst auf seinen gebeugten Rücken.

Ihr steht in einem Turmzimmer. Das Fernglas ist in das Rund der Außenwand eingelassen. Dein Blick fällt auf eine Schwarzwälder Kuckucksuhr mit Schlagwerk. Neben ihr hängt ein Kalender. Heute ist der Freitagmorgen des 24. Dezembers 1848.

In der Mitte der Turmstube strebt ein enges Gestänge durch die Decke. Du lässt deinen Blick die Stangen hochwandern bis zum Loche, in dem sie verschwinden, und weißt, sie führen zum Semaphor.

Wenn du in der frühen Dämmerung zum Dienst gehst, kannst du den Signalmast sehen, wie er oben auf dem Turme in den Himmel ragt. Du verlässt dann ein Haus am Fuße des Turms und durchquerst den Garten. Da ist ein Stall, worin es gackert und quiekt. Vieh und Garten müssen euch ernähren. Nur manchmal laufen eure Frauen den Hügel hinab ins ferne Dorf, um den Krimskrams zu holen, den Weiber für eine gute Hauswirtschaft brauchen.

Im kommenden Jahr wird eine Horde aufgebrachter Bürger von Iserlohn heranziehen und den Turm besetzen. Sie werden die Einrichtung zerstören und euch verjagen. Der Obertelegraphist wird dabei zu Tode kommen.

Am heutigen Morgen des 24. Dezembers 1848 ahnst du nichts davon.

Folge 3

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