Frischgeduscht in die Pilze fahren

Weil sein Blog „Leise Töne“ heißt und er sich „Shhhhh“ nennt, was den beschwichtigenden Ton meint, mit dem zum Leisesein gemahnt wird, nenne ich meinen jungen Freund hier „Herr Leisetöne“. In Wahrheit ist er überhaupt nicht leise, besonders nicht, wenn er mich urplötzlich anklingelt und wohlgemut ruft: „Wir fahren in die Pilze! Ich hole dich in 15 Minuten ab!“ „Wohin?“, frage ich verwirrt. Es hatte sich wie „Wir fahren in die Tsetse!“ angehört und ich muss an Fliegen denken.
„In die Pilze! Mach hinne!“
„Ich muss noch duschen!“
„Du brauchst nicht zu duschen. Wir fahren in den Wald!“

Ich kenne nur die essbaren Pilze, die man im Supermarkt kaufen kann. Unter der Dusche stelle ich mir so einen mannshohen Haufen dicker Champignons vor, in die wir reinfahren werden wie der Teufel in die Jungfrau, dass die Pilze nur so durch die Luft sausen. Und weil Herr Leise Töne vor unserer Abfahrt verlangt, ich solle ein Messer mitnehmen, werden wohl am Ende die Pilzfetzen im hohen Bogen fliegen, wenn wir wie die Berserker in die Pilze hineingefahren sind. Das gibt bestimmt Pilzgeschnetzeltes. Jedenfalls klingt „wir fahren in die Pilze“ nach Unmengen, einem richtigen Überschuss an Pilzen. Wie wir über die Autobahnen Richtung Celle jagen, sorge ich mich ein wenig, ob ich denn der Berge von Pilzen wohl Herr werden könnte. Aber ich tröste mich, dass Waldpilze ja wirklich keine ernstzunehmenden Gegner sind, solange man sie nicht isst. Die Pilze müsste selbst ich kurz und klein hauen können, obwohl ich noch Rekonvaleszent bin und keine überschüssige Kraft habe, anders als der schwungvolle Leisetöne. Bei der Ortsdurchfahrt von Celle wage ich leise darauf hinzuweisen, aber Leisetöne lacht nur über das Wort „Rekonvaleszent“. Dass er mich nicht in Watte packt, sondern fordert nach meinem Schlag, schätze ich sehr an ihm.

Seine Zuversicht und sein Überschwang werden noch beflügelt, als er bei einem Halt an einer Tankstelle einen 50-Euro-Schein findet. Und wo? Natürlich auf den Süßigkeiten im Verkaufsshop. Obgleich ich denke, einen Mann mit Glückssträhne, dem das Leben gerade nur Süßes schenkt, soll man keinesfalls ausbremsen, wage ich einen kleinen Witz, dass nämlich Waldpilze gewiss ein scheues Wild wären und wir uns gegen den Wind anschleichen müssten. Denn nachdem ich mit einem leidenschaftlichen Jäger auf einem Zimmer gelegen habe, kenne ich mich aus im Waidwerk.

Inzwischen weiß ich „in die Pilze fahren“ steht synonym für „in den Wald fahren“. Leisetöne biegt in einen Waldweg ein und fährt den eine ganze Weile entlang, umsteuert Schlaglöcher und Pfützen und erzählt mir was von Kanälen, die den Wald durchziehen. Wir queren ein Kanälchen oder besser ein Kanälileinchen und Leisetöne parkt direkt daneben. Dieser Platz, dieses Stück Wald ist nämlich sein Geheimtipp. Oder liegt er vielleicht doch auf der anderen Seite des Wegs?

Immerhin ist
das Kanälchen tief genug, dass ich nicht alleine hinüberkomme, sondern Leisetönes Arm als Stütze brauche. Bitte! Vor vier Wochen konnte ich nicht mal mehr eine Treppe hochsteigen und jetzt hüpfe ich über Geheimtipp-Kanäle, balanciere über unebenen, mal moosigen, mal grasigen Waldboden, auf dem Bruchholz herumliegt und dem Vermodern preisgegeben ist. Am liebsten ist mir noch der federnde Boden rings um Nadelbäume. Aber egal wie die Geheimtippbodenverhältnisse sind, Pilze wachsen da noch nicht, wie wir zugeben müssen, nachdem wir den Waldboden gefühlte fünf Stunden mit unseren Nasen durchpflügt haben, wobei Leisetöne immer mal wieder ausruft: „Es riecht hier total nach Pilzen!“ Aber einzig ein Kartoffelobrist kommt ihm unters Messer. Der ist wie erwartet schon zu alt und giftig. Essbar sind nur die jungen Kartoffeloffiziersdienstgrade etwa der Kartoffelleutnant, -Fähnrich oder -Fahnenjunker.

Auf der Rückfahrt aus den Pilzen muss ich zugeben, dass Herr Leisetöne sich überzeugend als Pilzkenner ausgewiesen hat und dass es vor allem ein schöner, durchaus lehrreicher Ausflug war. Ich kann jedermann empfehlen, auf diese Weise in die Pilze zu fahren.

Lesen Sie mehr über keine Pilze
im Bericht von Herrn Leisetöne!

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