Sie haben Post – vom Starnberger See (3) – Verwirrendes

Schon zweimal hat ein altes Fräuchen an meiner Tür gerüttelt – im Glauben, das wäre ihr Zimmer. Gestern Mittag hantiert sie eine Weile mit ihrem Schlüssel im Schloss, findet die Tür offen und schiebt ihren Rollator in mein Zimmer. Ich sage: „Sie sind hier falsch!“ Da entschuldigt sich, zieht sich zurück, um kurz darauf den Kopf erneut hereinzustecken und zu fragen: „Sitzen Sie in meinem Zimmer?“ „Steht denn Ihr Name an der Tür?“ Sie schaut nach und sagt „Nein!“ „Dann sitze ich auch nicht in Ihrem Zimmer.“ „Aber i hob doch all mei Sachen hierinnen!“ Ich bin ein bisschen ungehalten, was ich nicht wäre, wenn ein fesches Madel unbedingt in mein Zimmer wollte. Aber so ist man als Mann. Da kannst gar nichts gegen machen. Immerhin hole ich eine Schwester zur Hilfe, damit das Frauchen ihr Zimmer findet.

Den „Schwesternruf“ habe ich aber nicht betätigt. Einmal hatte ich ein lästiges Gerät am Körper, das meine nächtliche Atmung aufzeichnen sollte. Ich hatte den Verdacht, dass es nicht richtig funktionierte und wegen der Gefahr, es in dieser Nacht vergeblich und eventuell eine weitere Nacht tragen zu müssen, drückte ich den Schwesternruf. Es kam aber mitnichten eine hilfsbereite Schwester, sondern ein ziemlich unfreundlicher Mann. Da verging mir die Lust, nach einer Schwester zu rufen. Wenn eh nur komische Brüder kommen.

„Surrealismus ist der Ausdruck des Morbiden und Zerrissenen“,
hat meine Bewegungtherapeutin mal auf dem Gymnasium gelernt und offenbar nie mehr vergessen. Sie hat 1976 Abitur gemacht. Man sollte glauben, dass in den 70ern des letzten Jahrhunderts die Paukschule ausgestorben war mit ihren fragwürdigen Merksätzen, zweifellos Ausdruck des Stupiden und Beschissenen in der Pädagogik. „Surrealismus ist der Ausdruck des Morbiden und Zerrissenen“, diese Definition ist nicht weit entfernt von der Praxis der Nationalsozialisten, alles „Entartete Kunst“ zu nennen, was sie nicht verstehen konnten. „Entartete Kunst“ hat der Maler und Autor Lothar Günther Buchheim beizeiten gesammelt, in der Frühzeit der Bundesrepublik, als man vielerorts über Expressionismus noch dachte wie der Kunstlehrer meiner Bewegungstherapeutin über Surrealismus. Was Buchheim damals für wenig Geld und ein Butterbrot hat kaufen können, ist heute viele Millionen wert. Allein die Versicherungssume für die Buchheim-Sammlung beträgt 100 Millionen Euro. Die Sammlung ist in dem Park untergebracht, der an das Klinikgelände angrenzt, in einem eigens errichteten Bau, der an ein U-Boot erinnern soll. Ich war noch nicht drin, habe nur vor dem Gebäude gegessen, um zu sündigen, nämlich eine Pizza zu essen und ein Bier zu trinken.

Schließlich soll ich mich erholen.

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