Sie haben Post – vom Starnberger See (4) – Dick und Doof

Bewegungstherapie habe ich in einer Gruppe von Leidensgenossen. Über die drei Wochen hinweg hat sich die Zusammensetzung der Gruppe stetig verändert. Nach und nach gingen Schlanke und es kamen fette Männer. Schon wieder bin ich die Ausnahme. Normalgewichtig bedeutet hier fett. Nirgendwo habe ich so viele fettleibige Menschen gesehen wie in der Klinik. Zwei Ernährungsberaterinnen stemmen sich mutig der Flut der Fetten entgegen, und es ist ein Wunder, dass die zarten Damen nicht mitgerissen und niedergetrampelt werden von den Gierigen, die alles fressen wollen, was dick und rund macht.

Einmal habe ich an einem Kochkurs teilgenommen. Ein großer dicker Mann spielte sich sogleich als der Chefkoch auf und glaubte die Ernährungsberaterin und Leiterin des Kursus ständig korrigieren zu müssen, so dass sie ihn fragte, ob er den Kurs vielleicht übernehmen wolle. Dann hätte er wohl das getan, was er hinter ihrem Rücken spaßhaft andeutete, nämlich die Ölflasche genommen und ordentlich noch was in den Salat gegossen. Es gibt wohl eine Sorte geistige Verfettung, gegen die noch kein Kraut gewachsen ist, wie ja überhaupt der Kampf gegen Übergewicht nur zwischen den Ohren gewonnen werden kann.

T-Shirt-Aufdrucke sollten langsam out sein. Andere Leute mit dubiosen Botschaften per T-Shirt zu belästigen, das war vielleicht in den 90ern des letzten Jahrhunderts cool. Heute aber, wo einem auf allen Kanälen Botschaften zugeschrien werden, sollte wenigstens auf T-Shirts Friede sein. Meine private Liste der peinlichsten T-Shirt-Aufdrucke, die mir in der Klinik begegnet sind:

– Platz 3: Eine fette Frau, so breit wie hoch trägt auf der Brust, die übergangslos zum Bauch wird, den Aufdruck „Butterfly“.

– Platz 2: Ein anderer, der mir mit stierem Blick begegnet, hat vorne zweimal und hinten zweimal weiß auf rot: „no money“

– Platz 1: Die Steigerung dieses törichten Bekenntnisses trägt ein junger Mann: „Kein Geld, aber potent“

Drei scheint mir der Ausdruck von Wunschdenken zu sein. Aber das steht in einem grotesken Widerspruch zu der Realität. Die Assoziation zum leicht dahinflatternden Schmetterling stellt sich nicht ein, wohl denkt man an einen dicken fetten Brummer mit Leckrüssel. Zwei ist wohl der vermeintlich tapfere Versuch in einer von Geld bestimmten Kultur sich zu verweigern. Aber eine echte Verweigerung ist schließlich nur möglich, wenn man die Wahl hat wie im Bilderwitz, in dem der Geldbriefträger klingelt und die Frau fragt über die Schulter hinweg ins Haus: „Schatz, brauchen wir Geld?“ Und er sagt: „Och, nö!“
Soll die Aufschrift von Platz eins den Umkehrschluss provozieren, dass solche mit Geld impotent sind? Oder aber zumindest einen Gegensatz konstruieren zwischen finanzieller und sexueller Potenz? Wen soll das denn bittschön beeindrucken? Den potentiellen Kurschatten? Wohl kaum, schon allein mangels Masse.

Das Wort Kurschatten wird vermutlich bald aus dem Sprachschatz verschwinden, denn die Kurschatten sterben aus. Vermutlich hat es etwas mit der Verkürzung der Aufenthalte zu tun. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da ging man sechs Wochen in Kur. Sechs Wochen dem gewohnten sozialen Umfeld entkommen oder entrissen zu sein, das konnte schon den Wunsch nach Abwechslung oder gegenseitigem Trost aufkommen lassen. Innerhalb von sechs Wochen ist die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Schatten zu finden zudem größer als in drei Wochen.

Epilog – Terug van weggeweest
Die drei Wochen sind vorbei. Ich bin wieder in Hannover. Die Zeit am Starnberger See habe ich sehr genossen. Es gäbe noch viel zu berichten, doch vor der Materialfülle habe ich längst kapituliert. Außerdem war ich nicht auf Forschungsreise, sondern in Kur. Deren Ziel ist erreicht. Ich bin fitter als zuvor, habe das Zutrauen zu meinem Körper wieder gewonnen und die feste Absicht, einige Dinge in Zukunft anders zu handhaben.

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