Ich habe noch nie auf einer Tüte gesessen

Als ich noch in Aachen lebte, habe ich ab und zu niederländische Coffeeshops besucht, aus Gründen der ethnologischen Forschung. Als deutscher Staatsbürger durfte ich natürlich kein Gras (Cannabis) kaufen. Der Besitz ist gesetzlich verboten, das Grasrauchen aber erlaubt. Man muss allerdings nicht der Eigentümer sein, um im juristischen Sinne Gras zu besitzen. Wer von anderen einen Joint annimmt, ist in diesem Augenblick zum Cannabisbesitzer geworden, denn er kann über die Sache verfügen.

Das Wort Besitz ist bekanntlich mit sitzen verwandt. Ursprünglich besaß man also eine Sache, die man mit dem Hintern besetzt hatte. Diese Bedeutung ist aber versunken. Da drängt sich die Frage auf, welche Körperteile denn zu heutiger Zeit den Besitz ausmachen. Muss man etwas in den Händen halten, um es zu besitzen? Gibt es Körperteile, die nicht in Besitz nehmen können? Kann mein Ohr etwas besitzen, abgesehen von einem Ohrwurm? Besitze ich im juristischen Sinne einen Joint, der mir frei schwebend zwischen den Lippen steckt?

Ein zufällig herbeigeflogener Joint, der noch zufälliger zwischen meinen geschlossenen Lippen stecken bleibt, dort langsam abbrennt und nicht von mir weitergereicht wird, bleibt vermutlich straffrei, wenn ich nachweisen kann, nicht mit den Lippen nach dem Joint geschnappt zu haben, als er zufällig vorbeiflog. Juristisch unbedenklich wäre auch ein Joint, der mir von einem Ganoven zwischen die Lippen gesteckt würde, derweil ich mit Handschellen an einen Stuhl gefesselt bin. Vielleicht könnte man die Handschellen sogar weglassen, was mir ohnehin angenehmer wäre. Wir können auch den Ganoven weglassen, und ein Freund kommt daher, im strafbaren Besitz eines Joints und macht’s genauso wie der Ganove, nur ohne Handschellen. Denn ich darf ja in Deutschland Gras rauchen, nur nicht an mich nehmen oder weitergeben. Meine Lippen sind ganz offenbar im geschilderten Fall nicht besitzergreifend und weitergeben können sie zwar ein Wort oder einen Kuss, aber keinen Joint, wenn der andere nicht zufällig ein Feuerfresser ist.

Doch ich dürfte mich nicht zu einer solchen Situation mit einem Freund verabreden. Ich dürfte nicht sagen: „Hör mal! Du bist ja sowieso ein Ganove, dann besorg einen Joint und stecke ihn mir zwischen die Lippen, damit ich ganz legal kiffen kann!“ Das wäre die Anstiftung einer Straftat. Wenn allerdings der beinah unwahrscheinliche Zufall eintritt, dass eine Tüte vom Wind davongetrieben wird und in einem Zaun stecken bleibt:

Gebt Das Hanf Frei

Falls hier Kinder mitlesen:
Marihuana Ist Nicht Gutta

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