Der neue Botschafter – Zwei Zettel im Umschlag

Nr. 15 – Der neue Botschafter

Der neue Botschafter eines kleinen afrikanischen Landes macht seinen Antrittsbesuch bei dem Präsidenten eines europäischen Landes, um sein Beglaubigungsschreiben zu überreichen. Er wird in den prächtigen Empfangssaal des Präsidentenpalastes geführt, wo man ihn bittet zu warten. Wie er dort herumsteht und all die Kostbarkeiten betrachtet wird er des Stehens müde, und er setzt sich auf einen der fragilen Stühle aus der Zeit Ludwig XIV. Als er sich aber niederlässt, bricht der Stuhl gleich unter ihm zusammen und fällt auseinander. Der Diplomat ist verzweifelt. Wie soll er sich der peinlichen Situation entziehen? Da fällt sein Blick auf den offenen Kamin. Kurz entschlossen klaubt er die Reste des Stuhls zusammen und wirft sie ins Feuer. Als der Sekretär des Präsidenten ihn endlich abholt, ist der Stuhl bereits restlos verbrannt. Noch heute fragen sich die Bediensteten im Präsidentenpalast, wo der vierte der kostbaren Stühle abgeblieben ist.

Nr. 16 – Chruschtschows geheime Zettel

Nachdem Nikita Sergejewitsch Chruschtschow abgesetzt worden war, übergab er seinem Nachfolger Leonid Breschnew zwei Zettel in je einem Umschlag. Er sagte: „Wenn du einmal in große Schwierigkeiten gerätst, dann öffne den ersten Umschlag, lies den Zettel und tue, was dort steht, dann sind deine Schwierigkeiten gelöst.
Wenn du später erneut in große Schwierigkeiten gerätst, dann öffne den zweiten Umschlag, lies den Zettel, tue, was dort steht, dann sind auch diese deine Schwierigkeiten gelöst.“
Nach einer Weile geriet sein Nachfolger in große Probleme. Er öffnete den ersten Umschlag und las den Zettel. Dort stand: „Schiebe alles auf mich!“ Das tat er, und so war ihm tatsächlich geholfen.
Als er dann irgendwann erneut in Schwierigkeiten kam, aus denen er keinen Ausweg wusste, öffnete er den zweiten Umschlag. Er las: „Setze dich hin und schreibe zwei Zettel!“


Beim verbrannten Stuhl fragt man sich: Wer hat das gesehen? Der einzige Zeuge ist der Botschafter selbst. Als Akteur hätte er kein Interesse, von seinem Malheur zu berichten. Auch russische Staatspräsidenten haben kein Interesse an der Enthüllung ihrer Strategien. Beide Sagen enthalten demnach einen auktorialen (allwissenden) Erzähler, wodurch sie sich als erfunden ausweisen.
Die Sage von Chruschtschows Zettel habe ich in einem Kinofilm gehört, weiß aber nicht mehr wo. Alle Sagen: Startbild klicken

Dieser Beitrag wurde unter Ethnologie des Alltags, Schrift - Sprache - Medien abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.