Schreckliche Ereignisse auf dem Dorf

Verschnaufpause bei den modernen Sagen. Man soll ja nicht glauben, ich müsste sie nur aus meiner Sammlung kopieren. Nein, sie liegt nur als Ausdruck auf Papier vor, befindet sich in einem alten Schulhefter, auf dem über der Zeichnung zweier Pferde der Name meiner Tochter steht. Getippt habe ich meine Sammlung damals auf einem Atari-Computer, gespeichert auf einer Floppy-Disc, für die ich kein Lesegerät mehr habe. Beim Abtippen, das fälllt mir auf, bleibt kaum ein Wort beim anderen. Alles wird quasi neu erzählt. Aber heute habe ich leider keine Zeit.

Da fügt es sich, dass ich mich an einen Text erinnerte, der mir sehr gut gefallen hat und den ich mit Erlaubnis des Autors als Gastbeitrag veröffentlichen möchte. Die Groteske von Moritz Klamm ist ein unterhaltsames, skurriles Stück Literatur, in dem der Leser am Beispiel eines kleinen Dorfes erfährt, wie der Kapitalismus nicht funktioniert. Hübsch ist auch der allwissende Erzähler, der hier sogar ausgestaltet ist. Viel Vergnügen beim Lesen.
Trithemius

So funktioniert der Kapitalismus nicht
von Moritz Klamm

Das war heute ein schöner Tag gewesen, könnte man sagen, ich aber für meinen Teil kann dies nicht ohne weiteres sagen, denn: Dieser Tag war zwar schön, allerdings überschattet von den schrecklichen Ereignissen, die sich in dem Porzellanladen der Frau Schmitzelein zutrugen, in dem Dörflein, das ich schon seit Tagen beobachtete, von dem manche sagen, es sei wunderschön, von dem andere aber sagen, es wäre ein ganz besonders scheußliches Dörflein.

Der Name dieses Dörfleins ist innerhalb des Dörfleins ständig in aller Munde, geht man aber einmal über die Dorfgrenzen hinaus, um etwa nach Hutzum zu gehen oder etwas Ähnliches, dann findet man sehr schnell heraus, dass das Dörflein fast gänzlich unbekannt ist, obwohl die Leute sehr viel auf ihr Dörflein geben, was bei genauerer Betrachtung allerdings ganz und gar unberechtigt ist. Vielmehr würde es, wenn es etwas bekannter wäre als es ist, auch überhaupt keinen guten Ruf haben, sondern einen schlechten und das nicht nur wegen der Ereignisse, die sich im Porzellanladen von Frau Schmitzelein heute zugetragen hatten, sondern auch wegen der zahlreichen Unverfrorenheiten und Gemeinheiten, die auf die Einwohner dieses Dörflein zurückgehen, welches alles in allem ein wirklich hässliches Dörflein ist.

So gewährten sie zum Beispiel dem Lars Smit kein Obdach, als er durch diese Ansammlung scheußlicher kleiner Häuser kam und es regnete, wenn nicht gar stürmte und regnete, wie man sich erzählt. Dieser Teil wird innerhalb des Dörfleins von den Einwohnern immer besonders hervorgehoben, sie sagen dann „Obwohl es stürmte und regnete, haben wir ihn davon gejagt, wer weiß, vielleicht ist er ja umgekommen, wundern würde es mich nicht.“ Und dies alles taten sie, obwohl es sich bei Lars Smit um eine niederländische Blockflötenlegende handelt. Darüber hinaus ist es auch die Schuld der Dorfbewohner, dass Lars Smit inmitten des Sturms ausgerechnet in ihrem hässlichen Dörflein landen musste, denn zwei von ihnen hatten ihm absichtlich den falschen Weg gewiesen. Eigentlich hatte er ganz woanders hin gewollt, um, aber das lässt sich nur vermuten, möglicherweise eines seiner wundervollen Blockflötenkonzerte zu geben, die nicht, wie ich hervorheben muss, in Wirklichkeit nur Schallplattenkonzerte sind. Mit Sicherheit wollte er nicht in jenes Dörflein, welches wenn überhaupt, dann dafür bekannt ist, mit Kultur rein gar nichts am Hut zu haben, wenn die Dörfler die Kultur nicht sogar verachten.

Der Tag war also schön gewesen, aber er wurde überschattet, überschattet von den Ereignissen, die sich in dem kleinen Porzellanladen der Frau Schmitzelein zu trugen. Jene hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Öffnungszeiten ihres Ladens so zu legen, dass er prinzipiell immer geschlossen war, wenn die Leute des Dörfleins hinein wollten, was allerdings nicht häufig vorkam. Die Dörfler hatten zwar eine Neigung, ihr Porzellan bei allen Gelegenheiten zu zerbrechen, so wie sie generell eine Neigung hatten, die Dinge, welche sie umgaben, zu zertrümmern, wenn es sich anbot. Aber die Nachfrage nach neuem Porzellan war trotz allem nicht sehr groß, denn traditionell wird Porzellan vor allem für kleinere Teegesellschaften gebraucht. Mit Gesellschaften aller Art hatten die Dörfler aber nicht viel am Hut, denn ihre ablehnende Haltung gegenüber Auswärtigen wurde nur noch übertroffen durch die ablehnende Haltung, mit welcher sie sich selbst begegneten. Kam es dennoch einmal vor, dass jemand dringend neues Porzellan brauchte, so fand er den Porzellanladen geschlossen vor. Frau Schmitzelein hatte ein Gespür dafür, ihren Laden immer genau dann zu schließen, wenn jemand hinein wollte.

Heute allerdings, und ich schwöre, es ist die Wahrheit, denn ich beobachtete die ganze Szenerie aus einiger Entfernung mit dem Fernglas, war ihr Laden geöffnet und tatsächlich schaffte es ein besonders hartnäckiger Dörfler in den Laden hinein. Zu Beobachtungszwecken hatte ich mir eigens einen Beobachtungsstand gebaut und ihn mit allerlei Geäst getarnt, so dass es unmöglich war, es sei denn man stand direkt davor, ihn zu entdecken und somit war es auch ebenso schwer mich selbst zu entdecken, es sei denn, man hätte mich beobachtet, wie ich in aller Frühe diesen Stand aufsuchte, um von ihm aus das schäbige Dörflein zu beobachten. Dies mag im ersten Moment seltsam wirken, aber ich kann versichern, dass ich gute, wenn nicht sogar sehr gute Gründe hatte, dies zu tun. Normalerweise ist mir das Beobachten und Hinterherspionieren sehr verhasst, aber in diesem Fall war ich gezwungen, eine Ausnahme zu machen. Am heutigen Tag also ging einer der Dörfler in den Porzellanladen hinein, vermutlich um Porzellan zu kaufen, aber auch hierüber lässt sich nur spekulieren, vielleicht wollte er auch etwas anderes, zum Beispiel Frau Schmitzelein auf eine Tasse Kaffee einladen, obwohl ich dies für sehr unwahrscheinlich halte, da in dem ganzen Dörfelein kein Kaffeehaus zu finden ist. Als er aber den Laden betrat wurde er sofort von Frau Schmitzelein erschossen, die mit einem Gewehr vermutlich schon die ganze Zeit hinter der Theke gelauert hatte, womöglich mit der Absicht, einen potentiellen Kunden zu erschießen, ihren Laden heute geöffnet ließ, also quasi eine Falle gestellt hatte. Man sieht, dass die Dörfler, wenn ich mir diese Verallgemeinerung erlauben darf, denn dieser beschriebene Fall ist sicherlich kein Einzelfall, überhaupt keinen Sinn für Service haben.

Ich war also gezwungen in meinen Unterlagen die Notiz „mangelhaft“ einzutragen, was ich nicht gerne tue, aber unter den gegebenen Umständen blieb mir doch keine andere Wahl.

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