Fürsorgliche Untat

Vor meinem Fenster ist ein Baum abgeschlachtet worden. Während meiner Abwesenheit haben die Männer vom Grünflächenamt ein großes Kettensägenmassaker veranstaltet. Man traut es ihnen gar nicht zu, denn sie stehen meistens rauchend irgendwo zusammen, fahren den Kleinlaster lustlos hin und her, sortieren Geräte auf der Ladefläche, heben sie hoch und werfen sie in eine andere Ecke, zwängen sich zu dritt ins Führerhaus, um Butterbrote zu mampfen, und über all dem fast absichtslosen, wie planlosen Geschehen hängt die große Frage, wann werden sie zur Tat schreiten und welche Tat wird das sein?

Diesmal haben sie einen Baum abgeschlachtet. Der Stamm ist kurz über dem Erdboden abgesägt, und um diesen Stumpf, dessen offener Schnitt vom Regen dunkelrot gefärbt ist, liegt Sägemehl, sehr viel Sägemehl, rotbraun im Zentrum bis orange weiter außen. Man hat den Baum mitsamt seinen Ästen und Zweigen offenbar an Ort und Stelle zermahlen, das Baumknochenmehl aber achtlos zurückgelassen, so dass es wirkt, als hätte Mutter Erde rund um den Stumpf eine schwärende Wunde.

Im Frühling erwacht der Baum aus dem Winterschlaf und stellt fest, er ist gar nicht mehr da. So als würde man selbst eines Morgens erwachen, wollte sich erheben und nichts wäre da, was man noch erheben könnte, kein Arm, kein Bein, rein gar nichts, außer einem Häufchen Knochenmehl. Und nur, weil in der Nacht ganz unbemerkt die Männer vom Grünflächenamt neben dich an dein Bett getreten sind und entschieden haben: Das alles muss weg! Arm, Bein und Rumpf sind morsch und somit eine Gefahr für die Menschheit.

Warum die Männer vom Grünflächenamt irgendwo auftauchen und zur Tat schreiten, ist ganz und gar rätselhaft. Mal tun sie etwas wirklich Sinnvolles, mal scheint ihr Tun wie Beschäftigungstherapie. Es ist natürlich zu fragen, ob man solchen, die therapiert werden, eine oder mehrere Kettensägen in die Hände drücken soll. Am Ende sind sie völlig geheilt, aber ringsum liegt alles darnieder, mit Lärm geschlachtet, in Stücke gesägt und lustvoll gehechselt und geschreddert. Wenn sie ihre gefährliche Therapie auch noch genau unter meinem Fenster machen, derweil ich grad mal einen Tag weg bin, scheint ein perfider Plan hinter allem zu stecken. Dann ist so gut wie nichts mehr sicher.

Roaaaarrrr! Roaaarrrrrrr!

Zounds, jetzt haben die Kerls mir auch noch die Pointe vom Text abgesägt!

(Mehr aus dem surrealen Alltag? Klick Logo am Anfang des Textes)

Dieser Beitrag wurde unter Mein surrealer Alltag abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

7 Kommentare zu Fürsorgliche Untat

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.