Hätten Sie mal eine Vision parat?

Letztens erinnerte Blogfreund Dreckscheuder an die schwarzen TH-Shirts mit dem Aufdruck „No Future“. Es war der Slogan der Punkbewegung Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre. Wer als 19-Jähriger Punk war, müsste heute etwa 49 Jahre alt sein, oder anders gesagt, die No-Future-Generation ist heute um die 50 Jahre alt. Man weiß ja, dass sich das menschliche Gehirn grundsätzlich alles einprägt, ob eine Wahrnehmung nützlich ist oder nicht, spielt keine Rolle. Der Mensch muss nur lange genug dieser Wahrnehmung ausgesetzt sein, schon verfestigt sie sich zu einer Idee, die sein späteres Handeln beeinflusst.

Ich bitte um Entschuldigung für die umständliche Darlegung. Mir scheint aber, dass sich das Verhalten unserer Gesellschaft kaum einfacher erklären lässt. Unsere Gesellschaft glaubt nicht mehr an ihre Zukunft. Aus der No-Future-Generation ist eine No-Future-Nation entstanden. Aussagen über die Zukunft in Politik, Wirtschaft und am Stammtisch ranken sich primär um technologische und wirtschaftliche Entwicklungen, und dabei geht es um Besitzstandwahrung und Technologievernarrtheit. Von einer Zukunft der Politik, einer Zukunft unserer Gesellschaft spricht kaum jemand. Die Politik ist völlig rückwärtsgewandt. Sie stemmt sich gegen Entwicklungen, denen keine Regierung gewachsen ist. Rund um die Uhr brausen aberwitzige und unfassbare Billiarden an Finanzmitteln um den Globus, bauen hier auf und reißen da ab, wie der chaotische Finanzmarkt es gerade auswürfelt, ohne dass dabei irgendeine Regierung konsultiert würde.

Was bleibt unseren Politikern da anderes übrig: Sie wurschteln herum und geben Statements im Fernsehen ab. Herrn von Guttenberg sah man letztens mit dem Fuß auf der Freitreppe; das hat Eindruck gemacht, ein Politiker auf dem Sprung, keine Zeit für lange Reden, es muss angepackt werden. So wissen wir, man macht sich in der Bundesregierung viel Arbeit. Es gibt unbestreitbar Nachtsitzungen und dergleichen mühsame Beschäftigung. Nur die Welt spielt nicht mit, sie dreht einfach über Nachtsitzungen und unser aller Köpfe hinweg.

Wir müssen leider davon ausgehen, dass sich in den Figuren, die sich derzeit zur gesellschaftlichen Elite zählen, der erbärmliche Zustand unserer No-Future-Gesellschaft spiegelt. Zukunftsgedanken sind bei uns angstbesetzt, und Angst ist ein schlechter Ratgeber. Das entschuldigt uns alle ein bisschen. Die einen haben Angst, dass diese wunderbare Schnickschnack-Welt bald umgestoßen wird, – die anderen haben den Glauben längst verloren und treiben hoffnungslos von Tag zu Tag dahin. Die Gegenwart ist übermächtig, und dieser Zustand lässt nicht gründlich über die Zukunft nachdenken.

Das aber müssen wir tun. Wir brauchen eine Vorstellung von der Zukunft unserer Gesellschaft, denn der alte Zustand lässt sich nicht mehr halten. Es geht nicht nur um Wahlen, Opel oder Badbanks, sondern vor allem um die Frage, in welcher Welt wir zukünftig leben wollen. Das wäre ein Thema für viele Nachtsitzungen im Bundeskabinett. Doch da sitzt das falsche Personal. Für Visionen hat man keine Zeit. Es wäre besser, die Diskussion öffentlich zu führen, im Internet. Denkanstöße gibt es an allen Ecken, sogar gleich um die Ecke.

Teppichhaus-Musiktipp: Monza; De Stad Kan Zo Koud Zijn (Die Stadt kann so kalt sein, sogar wenn die Sonne scheint, (…) – doch anders sehr gern. Am liebsten noch heute.)

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