Abendbummel online – Streiche A, setze U

Letzte Nacht fand ich einfach nicht in den Schlaf, und falls ich doch schlief, dann habe ich es nicht gemerkt. Jedenfalls hörte ich mich gelegentlich fiebrig seufzen, es klang aber wie husten. Mit einem Mal seufzte es ganz anders, und zwar aus der Ecke, in der mein Wäschekorb steht. „Tschirch“ seufzte er laut und deutlich, allerdings nur einmal. Was er damit gemeint hat, kann ich nicht sagen, denn Tschirch ist meines Wissens kein deutsches Wort. Es gibt freilich einen bekannten deutschen Germanisten, der heißt Fritz Tschirch. Aber woher sollte mein Wäschekorb deutsche Germanisten kennen? Also wertet ich seine Bemerkung als kulturellen Bluff. Bisher hat nämlich noch kein Ikea-Wäsche-Aufbewahrungssack etwas Wesentliches zur Germanistik beigetragen.

Obwohl meine neue Wohnung komplett renoviert ist, gibt es einiges zu rügen, wenn nicht zu tadeln oder gar zu bemängeln. Zum Beispiel zieht die Kälte links und rechts der Wohnungstür in den Flur. Das will ich meinem Vermieter anzeigen, sobald er wieder mal im Haus ist. Seine Ankunft kann ich gar nicht verpassen, denn er hat gleich nebenan seine Stadtwohnung. Dort deponiert er seinen Mops und steigt die Treppe hinauf, um die im Haus werkelnden Handwerker beim Renovieren zu beaufsichtigen. Sogleich beginnt dann der Mops kläglich zu jaulen, denn er ist kürzlich erblindet und mag seither nicht mehr allein sein. Ich hatte mir vorgenommen, den Vermieter beim nächsten Jaulen abzufangen. Dann wollte ich ihn in meine Wohnung bitten, die Tür schließen, auf die Türritzen zeigen und sagen: „Halten Sie mal die Hand dahin.“ „Halten Sie mal den Hund dahin!“, korrigierte Theobromina, und ich musste zugeben, dass ein vor Kälte zitternder, blinder Mops viel eindrucksvoller ist als ein frierender Teppichhändler.

Am Morgen des zweiten Weihnachtstags, um 7:02 Uhr, als die Stadt noch schlief, stieg ich mit meinem Rollkoffer in die Straßenbahn der Linie 9, die mich zum Bahnhof bringen sollte, denn ich wollte nach Aachen fahren, um meine Kinder zu treffen. Da war ich noch gar nicht ganz wach und nicht in der Stimmung, zwei aufgeregten jungen Männern zuzuhören. Der eine lief gerade leer wie ein angestochenes Fass. Das war freilich die Schuld des anderen, denn der sagte nicht etwa, jetzt halt mal den Jabbeck, Alta, sonst kriegste eins vors Protoplasma, nein, er ließ nach jeder Episode ein beflissenes Höhöhö ertönen. Das verlangte nach dramaturgischer Steigerung, und so rief der erste plötzlich „Die beste Geschichte meines Lebens“ aus. Die ging so: Er hatte sich zwei Wochen „bei Kollegen“ aufgehalten, und eines Morgens wollte er sich was aus dem Kühlschrank holen, „… da sitzt die Katze auf dem Tisch und frisst die Butter. Ich schwör dir, Alter, die hat die ganze Butter gefressen, denn wir hatten ganz vergessen, die Katze zu füttern!“ „Höhöhöhö!“ „Hehehehe! Und das Beste kommt noch: Drei Wochen später wurde die Katze überfahren!“

Da dachte ich schon: Ich glaub, ich meld mich krank, – und das hab ich jetzt davon – mein Wäschesack will Kulturbeutel sein.

Guten Abend

(Nach Diktat ins Erkältungsbad)

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