Kostenlose Weil-Heilung und obendrein ein Kölsch

Es tut mir leid, dass ich den Frauenarzt sogleich vor den Kopf gestoßen habe, als er sich im „Goldenen Einhorn“ zu uns an den Tisch setzte. Denn er war doch eigentlich nur des Stehens müde gewesen. Andererseits hatte er darum gebettelt, ohne es zu wissen. Nach einigen Worten hin und her sagte er nämlich: „Ich habe es ja mit der falschen Verwendung von weil.“ Och nö, dachte ich, bisher war der Abend ganz gesellig, und so soll er auch bleiben. Der Mann hätte sagen können, ich habe Rückenschmerzen, schlimme Leberwurst oder sonst was. Dann wäre ihm all mein Mitgefühl zugeflossen. Aber die falsche Verwendung von weil als Kreuz zu haben, ist eine gar müßige Krankheit, denn man lädt sie sich mutwillig auf den Hals.

Weil ist eine unterordnende Konjunktion. Das Wörtchen leitet den Nebensatz eines Gliedsatzgefüges ein. Ein Beispiel: „Ich würde mich gern zu Ihnen an den Tisch setzten, weil mir die Füße schmerzen.“ Man kann den Nebensatz auch voranstellen: „Weil mir die Füße schmerzen, würde ich mich gern zu Ihnen an den Tisch setzen.“ Egal, wo der Nebensatz steht, sein finites Verb gehört an den Schluss. Standardsprachlich falsch wäre: „Ich würde mich gern zu Ihnen an den Tisch setzten, weil mir schmerzen die Füße.“ Die grammatische Fehlstellung von weil ist recht oft zu hören. Sie ist vermutlich eine Analogiebildung, eine Gleichsetzung von weil und denn. Beispiel: Ich würde mich gern an Ihren Tisch setzen, denn mir schmerzen die Füße.“ Denn ist aber eine nebenordnende Konjunktion, verbindet also zwei Hauptsätze. (Ich würde mich gern an Ihren Tisch setzen. Mir schmerzen die Füße.)

Gut, der Frauenarzt saß bequem, hatte ein frisch gezapftes Kölsch vor sich und konnte die Füße unterm Tisch ausstrecken. Warum also noch meckern? Wir hätten ihn in jedem Fall zum Sitzen eingeladen, weil denn wir sind ja keine Unmenschen, hatten ebenfalls je ein frisch gezapftes Kölsch vor uns und wollten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Da muss sich kein Frauenarzt als Sprachpapst aufführen, weil er sich vielleicht von Herrn Sick hat aufhetzen lassen und jetzt mit seinem Bildungsdünkel protzen wollte.

Darum stieß ich ihn vor den Kopf, bevor er überhaupt erklären konnte, warum er ein Kreuz mit der falschen Verwendung von weil hatte. Ich sagte: „Jacob Grimm schreibt, jede vermeintlich falsche grammatische Erscheinung zeige entweder Reste alter Sprachzustände oder kündige neue an.“ Da schluckte der Frauenarzt augenblicklich sein Weil-Lamento runter, und glücklicherweise hatte er ein Kölsch zum Nachspülen. Der Abend war, was mich betrifft, gerettet. Sprachpfleger nerven. Sie übersehen nämlich, dass sie eigentlich die Totengräber jeder lebendigen Sprache sind. Sprache muss sich verändern dürfen, und wie anders sollte es gehen als durch Regelverstöße? Der Duden „Richtiges und gutes Deutsch“ verzeichnet bereits im Jahr 1985, dass die Fehlstellung von weil in der gesprochenen Sprache häufig vorkommt, was bedeutet, dass sie vielen Sprechern gar nicht mehr auffällt. Gäbe es solche Veränderungen im Sprachgebrauch nicht, würden wir noch reden und schreiben wie unsere Altvorderen, beispielsweise so:

„Jeder Deutsche, der sein Deutsch schlecht und recht weiß, d. h. ungelehret, darf sich (…) eine selbsteigene, lebendige Grammatik nennen und kühnlich alle Sprachmeisterregeln fahren lassen.“
(Jacob Grimm in der Vorrede zur Deutschen Grammatik).

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