Abendbummel online – Petersburger Hängung am Lindener Berg

Weil ich mir von einem weihnachtlichen Kurztrip nach Aachen eine dicke Erkältung mitgebracht hatte, war ich zwei Tage am Stück nicht vor der Tür, und daher bin ich heute auf den vereisten Bürgersteigen recht vorsichtig unterwegs gewesen. Obacht, dachte ich, ehe du dich versiehst, kommt der behelmte Christian Wulff den Lindener Berg heruntergesaust und fegt dich von den Füßen ins Nirwana. CDU-Ministerpräsidenten sind nämlich viel gefährlicher als man bislang dachte, und schließlich habe ich auch vier Kinder. Das ist, zugegeben, eine fiebrige Phantasie gewesen, von denen ich in den letzten Tagen einige hatte. In Wahrheit ist der Lindener Berg viel zu flach für alpine Spaßaktivitäten, und so traf ich auch nicht mit Wulff zusammen, sondern mit einem Installateurmeister namens Wolf. Der steckte mit dem Kopf vorsorglich in seinem Werkstattwagen, und weil er nicht freiwillig herauskam, quatschte ich ihm in den Nacken und fragte, ob er mir demnächst mal Spüle und Waschmaschine anschließen könnte. Meister Wolf bat mich in seine Werkstatt, hieß mich meine Küche aufzeichnen und erklären, was genau zu machen sei. Diese Woche müsse er Heizungen bauen, sagte er, aber Anfang nächster Woche werde er sich bei mir melden. Da konnte ich nicht protestieren, denn derzeit kann jedermann eine Heizung gebrauchen, und ich habe immerhin schon einen Kühlschrank.

Einen Gasherd habe
ich auch. Den hat meine liebe Freundin mir besorgt, und zwar von einem Mann namens Fusselhirn. Das ist jetzt keine Fieberphantasie, sondern ein so genannter Nickname zum Zwecke der Inserierung im Internet. Herr Fusselhirn hatte nämlich einen fast neuwertigen Gasherd im Keller und kurz vor Weihnachten beschlossen, ihn feilzubieten und zu Geld zu machen. Wir gingen zwei Straßen weiter, klingelten an einem stattlichen Altbau, es öffnete ein liebenswert schussliger Mann, dem die langen graublonden Strähnen nur so um den Kopf rum hingen, und der führte uns in den Keller, wo er einen Gasherd präsentierte, den er gerade noch geputzt hatte. Ich drückte ihm die verlangten 70 Euro in die Hand, er hob den Herd auf einen flachen Karren, den er glücklicher Weise vergessen hatte, der Leibniz-Universität zurückzugeben, wir schoben meine Neuerwerbung durch eine Seitentür auf die Straße, luden um auf die mitgebrachte Sackkarre und zerrten ihn über Kopfsteinpflaster die Flanke des Lindener Bergs hinab. Das ging recht gut, denn ich dachte noch nicht, die Kopfsteine wären belegte Brötchen, die beim Betreten zermatschbröseln, so dass die Füße über gebutterte Flächen und freigelegten Wurst-Aufschnitt rutschen. Das kam erst Tage später mit dem Fieber.

Daher stand der Herd bald frisch geputzt in meiner Küche. Im Leben hätte ich mich nicht getraut, den Gasschlauch anzuschließen, sondern geduldig auf Herrn Wolf gewartet, und wenn er vorher noch halb Hannover mit Heizungen hätte zubauen müssen. Zum Glück ist die besagte liebe Freundin mit dieser höchst diffizilen Technologie bestens vertraut, stopfte kurzerhand den Schlauch in den Anschluss, öffnete einen Absperrhahn, und siehe da, die Flammen schossen empor, wo immer wir wollten. So kann ich in meiner neuen Wohnung schon kochen, theoretisch jedenfalls.

Man kann ja über die Sachsen sagen, was man will, aber sie sind eigentlich überall und machen sich nützlich. Heute Morgen zum Beispiel trat einer in meine Wohnung, ein fröhlicher junger Mann im Auftrag der Telekom. Meine noch durchaus kränkliche Erscheinung schreckte ihn kein bisschen, auch störte ihn nicht, dass er zwecks Prüfung der Telefonleitung zwischen meinen Schuhen herumfuhrwerken musste, für die es noch keinen Schrank gibt, und wie ich noch entschuldigend erklärte, dass ich gerade erst (hehe) eingezogen sei, hatte er mich schon an die bewohnte Welt angeschlossen. Dafür wollte er nichts mehr als eine Unterschrift. Für die bat ich ihn dann ins beinah fertige Wohnzimmer, denn ich wollte wenigstens zeigen, dass ich während der erzwungenen Auszeit nicht gänzlich tatenlos gewesen bin. Da stehen schon Kommoden und Regale an den Wänden, und ein Tisch ist auch da, wo die Füße drunter stellen kann, wer immer bereit ist, mir in allem seine trunkene Zustimmung über denselben zu schieben. Auch habe ich zum Beispiel ganze Kompanien von Dübeln, Rekruten wie Hauptleute, der Freiheit beraubt, ins Loch gesteckt und ihnen Schrauben reingedreht, damit Lampen und Gardinen meine neue Welt wohnlich machen. Allerdings lehnen immer noch Bilder an der Wand wie nichtsnutzige Halunken und betteln darum, in Petersburg gehängt zu werden, was allerdings meiner Meinung nach eine Fieberphantasie ist.

Guten Abend

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