Die letzte Freinacht – Lesung, Folge 13

Folge 13
Die Zeit wird angehalten

Zu seinen Füßen haben breite Knie eine staubige Spur hinterlassen, und daneben welken die entwurzelten Pflänzchen. Es geht leicht bergan, dann wieder bergab. Ganz hinten am anderen Ende kriecht Frau Lochmann.

Er läuft hin und gibt ihr die Jacke.
„Du bist aber ein lieber Junge!“, sagt sie.

Es gefällt ihm hier. An diesem Ende war er noch nicht. Am Rain bricht er einen Holunderstock ab. Man kann mit einem Messer feine Muster in die Rinde schneiden. Das hat er bei seinem älteren Bruder schon gesehen. Er versucht es mit einem scharfen Stein, doch es gelingt nicht gut. Lieber macht er den Stock ganz blank.

Wie er dort sitzt, fließt die Zeit vorbei, und erst spät erinnert er sich an seine Mutter. Auch Frau Lochmann ist nicht mehr zu sehen. Er rennt los. Hinter dem Knipp überholt er sie. Die anderen sitzen schon am Anhänger und kauen dicke Stullen aus Weißbrot, das die Bäuerin selber backt. Dazu gibt es Malzkaffee mit viel Milch aus der großen Töte. Den gießt die Bäuerin jedem ein, der seine blecherne Tasse hinhält.
„Wo warst du denn so lange?“, fragt seine Mutter.
„Och, da hinten.“
„Wo da hinten?“
„Da hinten bei der Frau Arschloch!“

Der Knecht prustet in seine Tasse, und die Frauen juchzen auf.
„Bei der Frau Arschloch!“, wiederholen sie lachend und müssen die Hände vor den Mund halten, denn Frau Lochmann hat sich gerade erhoben, klopft den Staub aus den Knieschonern und kommt heran.

Der Kleine guckt erstaunt. Was haben die denn? Da ist sie doch, – da, die Frau!

Meist zieht der Nachmittag sich lang. Die Frauen knien wie versteinert im Feld, über ihnen steigen die Lerchen auf, stehen fast still in der Luft und singen ihr eintöniges Tirili, das Wasser in den Pfützen ist schon hin und her geleitet, und ein Zug ist auch nicht in Sicht.
Es kommt nie einer, wenn man sich danach sehnt. Da lernt er schon ein bisschen, dass die Zeit aufgehalten wird, wenn man sich sehnt. Und das macht einsam.

Wenn die Sonne endlich in die westliche Wolkenbank taucht, dann kommt der Bauer mit seinem Traktor gefahren. Er misst die Tagesleistung mit seinen Blicken aus, und dann ruft er die Frauen zum Gespann. Staubige Gestalten erheben sich aus dem Feld und kommen müde herüber. Ein Rest Kaffee ist noch da. Was nicht getrunken wird, kippen sie an den Wegesrand. Sie beladen den Wagen, die Frauen packen sich dazu, den Kleinen nehmen sie auch mit – die Rückfahrt beginnt. Nun wird allen der Weg ziemlich lang. Über den Wagen streicht ein kühler Wind, dem keine mehr viel entgegensetzen kann. Sie halten ihre Strickjacken vorne zusammen. Und der Kleine kauert sich zwischen die Strohballen.

Zu Hause tut die Mutter Seife auf den Waschlappen und wäscht ihm die verdreckten Beine. Eine Welle von kleinen Stichen zieht über seine Haut, wo die Seife in die unzähligen winzigen Risse geht, die von den Strohhalmen kommen.

Folge 14

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