Aachenbummel Online – Eine Stadt voller Matrosen

Was ich denn die letzten Monate so gemacht hätte. Unter anderem, und es ist nicht ganz unwichtig, habe ich ein bisschen an meinem Weltbild gebastelt. Ein Weltbild hat ja Ähnlichkeit mit einer Landkarte. Beide sind Beschreibungsmodelle der Realität. Beide bilden die Welt nicht ab, sondern vereinfachen sie, und aus dieser Abstraktion bieten sie Orientierung.

Wenn man eine Landkarte nimmt, die schon ein paar Jahre rumgelegen hat, dann sind da natürlich nicht alle neuen Straßen und Plätze eingezeichnet, und eventuell verzeichnet sie auch Wege, die es gar nicht mehr gibt. Und dann fährst du zum Beispiel einen Weg, den dir die Karte gezeigt hat und stehst plötzlich vor einer riesigen Braunkohlegrube.

In einer Welt, in der es immer schneller brummt und braust, kannst du mit einem in die Jahre gekommenen Weltbild genauso daneben liegen. Deshalb empfiehlt sich ab und zu eine Revision. Man muss sich ja nicht gleich eine ganz neue Karte zeichnen. Doch die eine oder andere Änderung ist manchmal nötig. Keine Sorge, ich will jetzt niemandem mein in Teilen revidiertes Weltbild unter die Nase halten. Es hat mich ja keiner nach dem Weg gefragt.

Jedenfalls saß ich heute Mittag vor einem Café, nippte ab und zu an meinem Kaffee und las die Süddeutsche. Auf der Wissenschaftsseite stand wieder etwas über die Befunde der Hirnforschung und welche Konsequenzen sie nach Meinung des Hirnforschers Singer für unser Weltbild haben. Da dachte ich, was der Mann schreibt, finde ich eigentlich schon die ganze Zeit, – also seit meiner jüngsten Revision. Und irgendwie muss ich endlich mal Radiergummi und Bleistift nehmen und meine innere Karte ändern. Das habe ich gemacht, und dann habe ich mir wieder das Treiben auf der Straße angeguckt.

Prompt sahen die Leute alle ein bisschen anders aus, was natürlich in Wahrheit daran lag, dass ich jetzt anders auf sie geguckt habe. Wie da jeder Passant in seinem Universum steckt und alle zusammen in einem gemeinsamen Universum, das ist schon irgendwie komisch. Und jeder erklärt sich die anderen und die Welt mit Hilfe einer Karte. Manche haben ihre Karte schon vor 30 Jahren angelegt. Manche haben eine, da ist alles kreuz und quer eingezeichnet, wie es gerade kam. Und ich kenne auch welche, die haben eine so kleine Karte, dass sie nur reicht, wenn du auf einer Alm oder einer Ostfriesischen Insel zu Hause bist. Viele benutzen eine Karte, die ein anderer gezeichnet hat, wenn sie zum Beispiel nach einer bestimmten Religion leben.

Doch egal wie das Weltbild aussieht, es ist immer und bei jedem Menschenwerk. Sogar das Weltbild der Mormonen ist Menschenwerk. Der Religionsgründer Joseph Smith hat das Weltbild der Mormonen auf Schrifttafeln unter einem Stein gefunden. Im Traum war ihm ein weißer Salamander erschienen ist und hat ihm gesagt, wo er graben soll. Wie kamen die Tafeln unter den Stein? Vom Himmel sind sie nicht gefallen, sondern ein vergessenes Volk soll sie da vergraben haben.

Zur Zeit herrscht in Aachen ein unglaublicher Trubel. Der fing vor ein paar Wochen schleichend an, und inzwischen musst du schon mal den ein oder anderen Touristen zum Teufel wünschen, um überhaupt noch irgendwo durchzukommen. In der Innenstadt stehen alle paar Meter Menschentrauben. Mittendrin eine vom Fremdenverkehrsverein und erzählt Dinge über Aachen, – da komme ich jedes Mal ins Staunen, wenn ich einen Wortfetzen auffange.

Was es jetzt mit den Matrosen auf sich hat? Ja, daran kann ich ein gutes Beispiel dafür geben, wie borniert man manchmal ist, wenn man etwas Bestimmtes weiß. Man hat ja auch Regionen im eigenen Weltbild, wo man sich gut auszukennen glaubt. Da geht es nicht um Glauben, sondern um sicheres Wissen. Jedenfalls trat ich gestern Abend in den Laden meines Tabakhändlers, und der beachtete mich gar nicht. Er stützte sich an seiner Wendeltreppe ab und beobachtete eine Touristentraube, die sich vor seinen Andenkenregalen herumdrückte. Erst als mein Nebenmann gehustet hat, riss der Tabakhändler sich los und bediente mich.
Ich sagte: „Sie haben viel Kundschaft im Andenkenladen.“
„Och“, sagt er wegwerfend, „das sind nur Matrosen. Seeleute sind das, die nehmen sich heutzutage alle so wichtig.“
„Aha“, sage ich und dachte an das Wortbild „Seeleute“. Mein Tabakhändler jedoch hatte mit Sprache gespielt, mit dem Gleichklang, den die Sprachwissenschaftler bekanntlich „Homophonie“ nennen. Das Homophon zu „Seeleute“ ist „Sehleute“, Leute, die nur gucken und nix kaufen. Wäre ich jetzt nicht so ein Orthographiefetischist, hätte ich meinen Tabakhändler noch im Laden verstanden. So aber hat es gedauert, bis ich am Dom in die nächste Touristentraube gelaufen bin.

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