Abendbummel Online – Arbeiter, nutze deine Aufstiegschancen

Ob wir denn auch aufgestiegen seien, fragte mich mein Freund W. heute.
„Klar“, sagte ich, „wenn wir Deutschland sind, sind wir auch Aachen, folglich agieren wir jetzt in der Bundesliga.“
Wir trennten uns an der Ecke Annutiatenbach – Pontstraße. Ich stieg die Pontstraße hinauf Richtung Markt. Einen Alemannia-Schal hätte ich für fünf Euro haben können, ein Durchkommen zum Markt war dagegen unmöglich. Ich weiß nicht, wann die Aufstiegsparty auf dem Markt begonnen hatte. An den brüchigen Stimmen der Fans gemessen, musste sie schon lange andauern. Vom Markt her tönte ein Lautsprecher. Es wurde um Stille gebeten, denn es sei sonst nicht zu hören, was man auf der Bühne aufzuführen gedachte. Was es am Ende war, kam nicht durch, obwohl tatsächlich ein leises Ermahnen durch die Reihen ging. Eifrige weibliche Fans legten die Finger an die Lippen, und für einen Augenblick schien es, als wollte man sich an die Aufforderung zu halten. Doch die Masse war nicht ausdauernd willig. Wer feiert, lässt sich nicht gern den Mund verbieten.

Worin besteht eigentlich dieses Feiern? Genügt es, den Vereinsschal um den Hals zu tragen, eine Bierflasche in der Hand, die Reserveflasche in der Gesäßtasche? Reicht es aus, das Wirgefühl zu erleben, reicht es schon zum inneren Aufstieg aus den Quälereien des Alltags? Ein junges Paar mit Zwillingskinderwagen hatte sich nicht damit begnügt. Die Kleinkinder waren in Vereinsfarben gehüllt, und an der Seite des Kinderwagens war eine Standarte befestigt, an der eine Alemanniafahne hing. Alemannia Devils stand auf dem T-Shirt des jungen Vaters, der ein wenig rachitisch wirkte. Ob Mutter und Kinder die gleichen Gefühle hegten wie der Vater, war nicht auszumachen. Ich musste an ein Wort meines Freundes W. denken: „Frauen sind natürliche Fraternisierer.“ Sie machen mit, wenn es dem Familienfrieden dient und nicht zu weit ab ist von ihren eigenen Vorstellungen.

Bitte, es ist eine Erfahrungstatsache, die vielleicht einer emanzipierten Frau nicht schmeckt. Doch ich werte ja nicht, es ist nur eine Beobachtung, und das auch nur am Rande.

Randbeobachtungen, mehr kann ich nicht bieten. An einem Kiosk stieß eine Passantin versehentlich eine Werbetafel um. Die Kioskbetreiber hatten sie aufgestellt, um am Trubel der Aufstiegsfeier ein wenig teilzuhaben. Doch die Konsumbereitschaft der Fans schien nicht hoch gewesen zu sein. Die meisten hatten den Alkohol von zu Hause mitgebracht. So hatte sich offenbar Frust in den Leuten vom Kiosk aufgestaut.

Die Tafel fiel also um. Die Passantin entschuldigte sich und richtete die Tafel wieder auf. Sie hatte jedoch auf einem Gestell gestanden, und so raunzte die Kioskbetreiberin aus ihrer Luke: „Die müssen Sie auch wieder hochstellen!“
Leider war die Passantin zu ungeschickt, und so blieb es bei einem Versuch. Inzwischen nämlich zerrte ihr Partner sie weiter. Er wollte offenbar nicht, dass sich seine Frau für andere Leute bückt. Jetzt rief die Kioskfrau ihren Partner zur Hilfe. Und im Nu schoss ein kleiner dicker Mann aus dem Hauseingang und brüllte den anderen an. Der wiederum nicht faul trat wütend gegen die Tafel, wobei er in gebrochenem Deutsch seinen Unmut kundtat, dass man sie so unfreundlich angeschnauzt hatte. Jetzt schrie der Dicke, die Leute sollten hingehen, wo sie hergekommen seien, wenn sie sich in Deutschland nicht zu benehmen wüssten. Inzwischen war auch seine Frau herausgekommen, weil sie wohl dachte, ihr Mann allein sei noch nicht garstig genug. Ihr Mann hingegen war kurz vor der Explosion, und schoss nur noch mit Worten, weil er gerade kein Gewehr zur Hand hatte.

Da wurde es mir zu bunt. Ich sagte: „Kann man bei Ihnen auch etwas kaufen?“
Sie besann sich und sagte „ja“, kroch in ihre Bude zurück und bediente. Ihr Mann kläffte den fortstrebenden Übeltätern noch einmal hinterher, dann trollte er sich.
Der Frau war der Vorgang nun peinlich, denn sie sah, dass ich mit ihrem Verhalten nicht einverstanden war. Vielleicht schämte sie sich auch, sich so vergessen zu haben. Müde versuchte sie, sich zu erklären, doch ich sagte:
„Die Frau hat sich entschuldigt. Es war ein Versehen!“
„Aber der Mann hat gegen die Tafel getreten!“, sagte sie.
„Nachdem Ihr Mann ihn beschimpft hat.“
Sie ließ es, mir zu widersprechen und gab mir endlich meinen Tabak, von dem ich dachte, dass er mir vielleicht beim Rauchen übel bekommen würde. Das freilich liegt in Wahrheit am Rauchen und nicht daran, wer mir den Tabak verkauft hat.

Jedenfalls war mir die Lust auf die Aufstiegsfeier vergangen. Weitere Randereignisse wollte ich mir nicht antun.

Man sieht hieran, die Strahlkraft einer Aufstiegs- oder Meisterfeier ist nicht besonders groß. Schon an ihren Rändern schafft sie mehr Frust als sie Freude bereiten kann. Das jedoch liegt nicht an den Feiern, sondern einzig daran, dass es sich an den Rändern einer Gesellschaft einfach nicht gut feiern lässt.

In einer Bahnhofsunterführung sah ich seitlich der Treppe zum Bahnsteig einmal ein zynisches Graffito: „Arbeiter nutze deine Aufstiegschancen!“

Aachens Arbeiter sind in diesen Tagen in die 1. Bundesliga aufgestiegen.
Es kostet sie Geld für viel Bier, einen dicken Kopf und eventuell einen Kater.

Es ist mit diesem Einsatz kein großer Aufstieg zu erlangen. Nur ein Augenblick Glückseligkeit im Wirgefühl.

Guten Abend

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