Beiträge zur Medienphilosophie

1 Voralphabetisches Denken

=> Es ist schwer vorstellbar und noch schwerer zu begreifen, wie voralphabetisches Denken beschaffen war. Doch Untersuchungen bei schriftlosen Kulturen und Berichte aus Zeiten der Mündlichkeit unserer eigenen Kultur vermitteln eine Idee davon.

Und diese Überlegungen bringen uns noch weiter zurück, wo wir uns in den Bereich der Spekulation begeben, der jedoch die Folgerichtigkeit nicht abzusprechen ist.

Man muss sich klar machen, dass die ersten Menschen sich erinnernde Affen waren. Ein genetischer Defekt brachte Erinnerungsbilder, Traumbilder in die Köpfe dieser ersten Menschen. Es muss etwas gewesen sein, was sie in Furcht versetzte, denn die Bilder entstammten ja nicht den realen Erfahrungen in der physikalischen Umwelt. Sie lösten Gefühle aus, ohne fassbar zu sein. Mit diesen Gefühlen umzugehen, sie aus der Empfindung des Unheimlichen, Unwägbaren zu lösen und sie nutzbringend für das Handeln im Hier und Jetzt anzuwenden, war ein langer Prozess.

2 Entstehung der Sprache

=> Ich will es versuchen, szenisch zu entwickeln, wobei es anders zugegangen sein mag, doch wir können uns dieser Frage nur spekulativ nähern. Ganz gewiss hängt das Erinnern zusammen mit der Entwicklung der menschlichen Sprache. Ebenso ist die Idee der Zeit, der Vorzeitigkeit, der Gegenwart und der Zukunft in die Welt gekommen, als der Mensch begann, den Erinnerungsbildern in seinem Kopf sprachlich zu begegnen, um sich neuen Halt zu geben.

Als der Mensch damit begann, seinen Atem, der dem Mund entströmt, mit den Lippen zu bremsen und bedeutungsvolle Laute zu formen, hat er damit die reine Zugehörigkeit zum Naturrhythmus aufgegeben. Das einträchtige Schwingen im Naturrhythmus, das unwillkürliche Leben des Tieres formte sich allmählich um zum willkürlichen Empfinden und Handeln des Menschen. Doch der Mensch ist weiterhin nicht Herr seiner Natur. Er hat sie nur überformt mit den Mitteln der Sprache.

Wie hat es begonnen? Ich will es zu erzählen versuchen. Der folgende Text ist der Beginn einer Reise durch die Sprache und die menschliche Kommunikation. Nicht immer wird es spekulativ zugehen wie in dieser ersten Etappe, denn später begeben wir uns auf sicheres Gelände:

1. Tag

=> Eigentlich war der erste Mensch ein Affe. Aber er, den wir den Urvater des Menschen nennen wollen, war nicht wie die anderen seiner Art. Er war missgebildet auf die Welt gekommen. Er konnte sich nicht gut auf den Bäumen fortbewegen, vor allem konnte er nicht gut auf allen Vieren laufen. Wann immer es ging, lief er auf den Hinterbeinen. Die anderen Affen nehmen ihn nicht für voll, denn weil er nicht gut laufen konnte auf allen Vieren, war er langsamer und unbeholfener als sie.

Er konnte weiter schauen als alle anderen, denn sein Kopf ragte höher. Deshalb wagte er sich ins offene Gelände hinaus. Weil er missgebildet war, wurde er von den anderen ausgegrenzt. Oft lief er also auf seinen Hinterbeinen abseits der Gruppe. Und wo offenes Gelände war, lief er hin und guckte. Auf diese Weise fand er sich in einem Gelände zurecht, das die anderen Affen mieden. Auch hier gab es Nahrung, und wenn die Nahrung für die Gruppe im Wald einmal mager war, dann konnte dieser missgebildete Affe trotzdem Nahrung besorgen. Deshalb wuchs auch sein Ansehen in der Gruppe, und irgendwann ließ sich ein Weibchen von ihm bespringen, obwohl er nicht war wie die anderen.

Einige seiner Kinder waren verwachsen wie er, und nach ein paar Generationen gab es viele von ihnen. Sie liefen aufrecht, ihre Wirbelsäule war gerader als die ihrer Vorfahren, und der Kopf saß aufrechter auf dem Hals.

=> Fast alle Affen leben in Gruppen. Die Gruppe bietet Schutz vor Feinden, und die Gruppe macht sich gemeinsam auf Nahrungssuche. Wie aber hält man eine solche Gruppe zusammen? Die Affen haben hierfür eine einfach Methode: Sie kraulen sich gegenseitig. Den ganzen Tag halten sie immer wieder inne und kraulen einen aus der Gruppe. Je mehr sie sich untereinander kraulen, desto besser hält die Gruppe zusammen.

Die aufrecht laufenden Affen waren sehr erfolgreich bei der gemeinsamen Jagd. Und weil sie immer genug zu essen hatten, wuchs ihre Gruppe. Die Gruppe wurde zahlreicher. Da war es bald unmöglich, dass alle einander kraulten. Ja, sie waren am Ende fast nur noch damit beschäftigt, und wurden doch niemals richtig fertig damit. Denn sie konnten sich ja nicht den lieben langen Tag nur mit Kraulen befassen. Weil sie aufrecht gingen seit Generationen, saß ihr Kopf anders auf dem Hals, und das wiederum ermöglichte ihnen andere Laute als zuvor. Vielleicht war das der Grund, warum sie anfingen zu sprechen. Schon seit langem kannten sie die Möglichkeit, andere, fremde Affen anzuschreien, um sie zu verjagen.

=> Eines Tages sahen sich vielleicht zwei aufrecht laufende Affen einer Gruppe von weitem an. Die mochten sich, waren aber zu weit entfernt voneinander, um sich kraulen zu können. Es war eine kleine Schlucht zwischen ihnen. Da rückte der eine sein Kinn vor, zum Zeichen, dass er den anderen gesehen hatte, und gleichzeitig machte es aus seinem Hals heraus: „Do!“
Der andere hörte das und spürte, dass es angenehm war. Das war ja kein Anschreien gewesen, sondern nur ein leiser, angenehm klingender Laut. Es war wie ein Kraulen aus der Ferne. Darum versuchte er es auch. Er reckte sein Kinn vor, und tatsächlich er kriegte ein „Do!“ als Erwiderung heraus.

Jetzt hatten unsere beiden Affen entdeckt, dass es möglich war, sich mit der Stimme zu kraulen. Das war nicht ganz so gut wie das richtige Kraulen, aber immer noch viel besser, als gar nichts zu machen. Früher konnte ein Affe mit seinen Händen doch höchstens zwei andere Affen kraulen. Jetzt konnte er zudem 5,6,7, ja noch mehr auf einmal kraulen mit seiner Stimme.
So hatten sie eine neue Möglichkeit gefunden, ihre große Gruppe beisammen zu halten. Man kann sich vorstellen, dass diese Affenmenschen erfolgreicher waren als Affen in kleineren Gruppen.

In dieser Zeit ging alles langsam in der Welt. Vielleicht lebte die neue Art der Do hundert, tausend oder zehntausend Jahre auf diese Weise. Solange keine Notwendigkeit bestand, mehr zu sprechen als das Kraulwort, hat sich vermutlich nicht viel geändert. Höchstens sprachen sie das Wort ein wenig anders aus.

Fernkraulen ist Grüßen
=> Eigentlich machen wir das Fernkraulen noch heute so, doch heute klingt es anders. Wenn wir jemanden treffen, dann sagen wir zum Beispiel: „Hi“ oder „Hallo“. Oder wir sagen einen richtigen Gruß, zum Beispiel sagen wir: „Hallo Arne!“ Wenn Arne dann auch Hallo sagt, und unseren Namen dahinter nennt, sind wir zufrieden. Wir haben uns dann gegenseitig aus der Entfernung gekrault. Sagt Arne aber gar nichts, erwidert er den Gruß nicht, dann fühlen wir uns unbehaglich. Wir haben Arne gekrault, aber Arne hat uns nicht zurückgekrault.

Wenn Arne nur „Hallo“ sagt, unseren Namen aber weglässt, obwohl wir seinen Namen gesagt haben, das finden wir ein wenig blöd. Wir finden es auch peinlich, jemanden zu treffen, dessen Namen wir vergessen haben.
Wenn zwei sich treffen und der erste sagt: „Guten Morgen, Herr Wermelskirchen“, dann erwartet er, dass ihn der andere zurückgrüßt und ebenfalls seinen Namen nennt. Das ist nämlich wie zweimal kraulen. Der zweite kann jetzt in Not geraten. Er überlegt, mein Gott, wie heißt der nur? Fällt ihm der Name nicht ein und er sagt nur: „Guten Morgen!“, dann hat er einmal zu wenig zurückgekrault.

Eine solche Begegnung fühlt sich unangenehm an. Immer will man nämlich zurückkraulen, wie man selbst gekrault worden ist. Und genauso will man auch nicht viel mehr gekrault werden, als man selber gekrault hat. Sagt einer nur „Hallo!“, dann will er eigentlich nicht, dass der andere stehen bleibt und sagt: „Guten Tag, Herr Müller, schön Sie zu treffen!“
Das wäre ein einfaches Kraulen dreimal zu erwidern. Auch das gilt nicht als schicklich.

Denn im Laufe der Jahrhunderte haben wir eine Idee von Regeln entwickelt, wie man einander zu grüßen hat. Das machen die Menschen an verschiedenen Orten der Welt und zu verschiedenen Zeiten sehr unterschiedlich. Denn Menschen sind erfindungsreich. Es gibt auch Völker, da spuckt man einander ins Gesicht.

Die Regeln aber, wie man einander mit der Stimme zu kraulen hat, das sind auch grammatische Regeln. Wir kennen einige davon, andere sind in Vergessenheit geraten. Eine einfache Kraulregel ist: Wer einen Raum betritt, in dem sich bereits jemand befindet, grüßt zuerst. Wer einen solchen Raum verlässt, sagt Tschüss. Auf der Straße grüßt der Jüngere den Älteren zuerst.

=> Schauen wir uns jetzt nochmals die Do an: Sie haben jetzt ein Kraulwort, doch woher kommen die weiteren Wörter? Wie entsteht daraus eine richtige Sprache? Wir wissen das nicht, denn die Entstehung der Sprache ist einfach zu lange her. Eventuell aber ist es so zugegangen:

Eines Tages war einer von ihnen, ein späterer Do, von seiner Gruppe versprengt worden. Den zweiten Tag war er nun schon allein unterwegs. Er fühlte sich schutzlos allen Gefahren ausgeliefert und litt schrecklichen Durst. Wenn er nicht bald Wasser finden würde, war er verloren. Endlich sah er in der Ferne einen grünen Streifen Buschwerk. Dort könnte Wasser sein. Er schleppte sich hin und fand tatsächlich einen kleinen Flusslauf. Sein Herz hüpfte und er rannte hinab zum rettenden Wasser. Der Do warf sich auf den Bauch und trank. Dann wälzte er sich auf den Rücken und seiner Kehle entrang sich ein erleichtertes: „Aah!“

Er war gekräftigt. Das Wasser hatte ihn erquickt. Er fühlte sich affenwohl. Nachdem er sich satt getrunken hatte, lief er weiter. Bald fand er auch die Spuren seiner Gruppe wieder, er war gerettet.

Einige Zeit später litt die gesamte Gruppe Durst. Sie liefen seit Tagen ohne Wasser durch fremdes Land. Plötzlich erkannte unser Do die Gegend wieder. Hier war er schon einmal gewesen. Und er erinnerte sich plötzlich an den kleinen Flusslauf, wo er so wunderbar errettet worden war. Wie schön hatte er sich da im Wasser gewälzt, getrunken und erfrischt. „Aah“ hatte es aus seinem Mund gemacht, daran erinnerte er sich genauso wie an das köstliche Nass.

Links ihres Weges war eine Anhöhe, und hinter der Anhöhe, da musste der kleine Fluss dahinplätschern. Unser Do schüttelte verwundert den Kopf. In seinem Kopf hatte es geblitzt! Ein Gedankenblitz war ihm durch den Kopf gefahren. Der erste Gedankenblitz seines Lebens. In dem Augenblick nämlich, als er sich an das Wasser erinnerte, da war aus seinem Mund ein Laut gekommen. Es hatte laut „Aah“ gemacht aus ihm. Und in diesem Augenblick stand plötzlich die schöne Erinnerung an das rettende kühle Wasser mit großer Klarheit vor seinen Augen. Der kleine Laut „Aah“ hatte seine Erinnerung gewaltig verstärkt. Er hätte sich gewiss erschreckt, doch er war zu aufgeregt. Er lief ein wenig den Hang hinauf und rief: „Aaaah!“ Dabei deutete er in die Richtung des Wassers. Die anderen verstanden zuerst nicht, was er wollte. Da rief er wieder: „Aaah!“ und zeigte wild fuchtelnd in Richtung des Wassers. Die ersten der Gruppe blieben stehen, und als unsere Do nicht aufhörte zu rufen, da setzte die Gruppe sich wieder in Bewegung und folgte ihm.

Wenig später warfen sich alle in die Fluten, und nachdem sie getrunken hatten, taten sie es ihrem Kundschafter nach. Zuerst rief nur er. Doch dann versuchte es ein Zweiter. Er war in der Laune zu spielen, denn er hatte sich satt getrunken. Er freute sich über die Rettung. Deshalb lachte es in ihm, und dadurch fiel es ihm ganz leicht. Er konnte auch Aah“ rufen. Bald wälzten sich alle lachend am Ufer und riefen immerzu: „Aah!“, „Aah!“, „Aah!“
Dann zeigten sie auf das rettende Wasser und riefen das neue Wort. Sie waren dem Wasser dankbar, und jetzt gaben sie ihm, ohne es zu merken einen Namen. Dieser Seufzer der Erleichterung, das wunderbare Gefühl, sich nach langem, schrecklichen Durst endlich wieder satt trinken zu können, das alles steckte als Gefühl in dem kleinen Wörtchen „Aah!“
Welch ein mächtiges Wort muss das gewesen sein. Ein Wort, das fast die gleichen Gefühle hervorruft wie die Sache selbst. Man macht „Aah!“, und schon hat man das Bild des freundlichen Flusses vor sich und erinnert sich, wie köstlich sein Wasser schmeckt.

=> Einige Dos hocken am Feuer, sie haben nichts zu trinken, seit vielen Stunden nicht. Und jetzt ist es dunkel. Sie müssen lagern und bis zum Morgen warten, bevor sie weiter nach Wasser suchen können. Plötzlich hat einer von Ihnen das Bild des Flusses vor Augen. Da sagt er: „Aaaaah!“. Vielleicht sagt er auch zuerst „aah“ , ganz ungewollt ist es seiner durstigen Kehle entronnen. Und weil er doch so durstig ist, darum zieht es seufzend lang. Das klingt so schön und sehnsuchtsvoll. Und die anderen hören ihn und sehen sofort den kühlen Fluss vor sich, den sie „Aah!“ nennen. Es ist, als ob sie ihn greifen könnten. „Aaaaaaah!“. Für einen Augenblick macht ihnen das ein angenehmes Gefühl und tröstet sie. Es gibt nicht nur Hitze und Felsen. Irgendwo da unten in der Niederung, da wartet auf sie der „Aah“. Und vielleicht war einer für einen Moment so froh darüber, dass er lachen musste. Dann hätte der seufzende Do den ersten Witz der Welt gemacht. Da wo kein Wasser gewesen war, da hatte er mit einem Laut, einem Empfindungswort, mit einer Interjektion Wasser hingezaubert. Die anderen springen herum. Wo ist denn das Wasser, wo ist denn das Wasser? Sie tun so, als würden sie sich hineinwerfen und daraus trinken und lachen dabei. Wenn die Do es so gemacht haben, dort oben auf ihrem trockenen Felslager, weitab vom richtigen Fluss „Aah“. Dann haben sie zusätzlich zum ersten Witz auch gleich das erste Theaterstück der Welt aufgeführt.

=> So dürfen wir vermuten, dass beim frühen Menschen die Wörter viel mehr Kraft hatten, Gefühle auszulösen. Die Sprache der frühen Menschen muss ihnen sehr mächtig vorgekommen sein, weil sie mächtige Gefühle machte und weil sie wie ein Werkzeug benutzt werden konnte. Man konnte sich erinnern damit, man konnte sich die schönen Gefühle vergegenwärtigen, man konnte die anderen damit informieren und man konnte die anderen damit kraulen.

Heute hat die Sprache viel weniger Kraft. Es gibt zu viele Wörter und sie werden zu oft gesprochen. Deshalb hat sich die Sprache abgenutzt. Aber es gibt trotzdem noch viele Ähnlichkeiten zur Sprache des Frühmenschen.
Wir kennen in unserer Sprache noch immer die kleinen Empfindungswörter. Sie sind nur nicht mehr so ausdrucksstark wie früher, als von ihnen Leben oder Streben abhing.

Auch Wörter haben klein angefangen
Ein solche Wort, das eine Empfindung ausdrückt, nennen wir Empfindungswort, auf Latein: Interjektion.
Nein, keine „Injektion“. Die bekommst du beim Arzt. Aber wenn du dann „Au!“ rufst, dann hast du ein Empfindungswort, eine Interjektion benutzt. Interjektionen sind die kleinsten Wörter, die wir haben: „Aua“, „ach“, „oh“, „ha“, du kennst sie. Vermutlich waren die ersten Wörter des Menschen solche Empfindungswörter. Man sieht daran: Auch Wörter haben ganz klein angefangen.

=> Aber dieses kleine Wort „Aah“ war noch mehr. Es war nicht nur ein Empfindungswort. Denn zuerst hatte der Kundschafter an das köstliche Wasser gedacht. Er hatte das schöne Gefühl des Trinkens erinnert. Aber vorher musste er die anderen dazu bringen, die Richtung zu ändern und ihm zu folgen. Deshalb hatte er das Wort auch als Information benutzt. Er hatte den anderen mit seinem Ruf gezeigt, wo sie Wasser finden könnten. Die Information und das schöne Gefühl, beides steckte also in dem winzigen Wort „Aah“.

Denotation, Konnotation, Fremdwörter
=> Noch heute ist das bei den Wörtern so. Jedes Wort, das man kennt, macht uns Gefühle, Erinnerungen (Konnotationen) und hilft uns, eine Information (Denotation) weiterzugeben. Nur bei Fremdwörtern aus einer anderen Sprache empfinden oder erinnern wir wenig oder gar nichts. Bei dem deutschen Begriff „Empfindungswort“, wissen wir sofort, was es meint. Bei dem Fremdwort „Interjektion“, wissen wir zunächst gar nichts und wir empfinden dann auch nicht das Richtige, wenn wir es hören. Höchstens empfinden wir Unmut oder wir schämen uns, weil wir es nicht verstehen. Darum ist es auch nicht gut, zu viele Fremdwörter zu benutzen. Man selbst empfindet nicht genug oder das Falsche beim Reden, der andere empfindet nicht genug oder das Falsche beim Hören von Fremdwörtern. Die Sprache wirkt herzlos, wenn sie zu viele Fremdwörter hat. Und manches versteht man gar nicht.

Erste Wörter, Namen und Klassenbezeichnungen
=> Lass uns noch einmal bei den Do vorbeischauen. Die Do haben jetzt einen Namen für Wasser, das man nach langen Strapazen findet. Also werden sie den Namen auch bei anderen Wasserstellen und Flussläufen benutzt haben. Nicht nur ein ganz bestimmter Fluss heißt „Aah“ wie am Anfang. Jetzt heißen alle Bäche und Flüsse „Aah“, wenn das Wasser trinkbar ist. Aus dem Namen für eine einzige bestimmte Sache ist ein Wort geworden für alle Sachen der gleichen Art. Aus dem Namen wurde eine Bezeichnung.
Aber nicht immer ist das Wasser gut. Manche Flüsse sind bitter, sie haben Schwefel geladen oder andere Mineralien. Manche machen Bauchweh. Was rufen die Do an einem solchen Fluss?

Da wackelt eines auf’s Wasser zu, von dem eine Do weiß, dass es Bauchweh macht. Es ist ihr Kind. Sie kann es nicht mehr aufhalten, denn es ist schon nah am Wasser. Was soll sie tun, sie muss ihr Kind doch warnen! Die Do ruft, und vielleicht entrinnt ihrer Kehle ein aufgeregterer Laut als „Aah!“ Die Do-Mutter hat ohnehin eine hellere Stimme. Sie ist besorgt und will „Wasser“ rufen. Sie ruft nicht „Aah!“ Vielleicht will sie „Aah“ rufen, doch in diesen Laut mischt sich die Vorahnung des Schmerzes. Deshalb klingt es vielmehr wie „Iih!“ „Iih!“, was sie ruft. Je heller ein Vokal ist, desto weiter trägt ihn der Schall. Und weil „Iih“ auch aus der Entfernung gut zu hören ist, bleibt das Kind stehen und schaut zurück.

Ab jetzt haben die Do zwei Wörter für Wasser. Gutes Wasser heißt Aah, schlechtes heißt Iih. Auch dieser Laut, dieses neue Wort macht im Kopf der Do aufregende Bilder. Bilder der Sorge, der Angst und des Schmerzes. Auch dieses Wort ist mächtig.

Neue Wörter
=> Eigentlich geht das noch heute so mit dem Entdecken neuer Wörter. Wann benötigen wir ein neues Wort? Wir brauchen ein neues Wort für eine neue Sache.
Vor etwa 30 Jahren etwa wurde das Papiertaschentuch erfunden, ein Tuch, das man nach dem Gebrauch wegwerfen kann. Die Firma, die es zuerst angeboten hat, nannte ihr Papiertaschentuch „Tempo“. Das war ihr Markenname für das Papiertaschentuch. Bald gab es andere Firmen, die ebenfalls Papiertaschentücher herstellten. Sie alle gaben ihrem Erzeugnis einen eigenen Namen: „Soft“, „Danke“ und wie sie alle heißen. Die Leute aber nennen Papiertaschentücher noch immer sehr oft „Tempo“, egal, wer der Hersteller ist. So wird aus dem Namen einer einzigen speziellen Sorte Papiertaschentuch eine Bezeichnung für alle Papiertaschentücher. Aus dem Namen wird ein Wort. Man nennt ein solches Wort in der Grammatik: Klassenbezeichnung. Eine Klassenbezeichnung bezeichnet alle Dinge der gleichen Art. Ein Name dagegen meint etwas Bestimmtes einer Art.
Das Wort Mensch ist eine Klassenbezeichnung. Doch jeder Mensch hat einen Namen. Er heißt vielleicht Klaus. Klaus ist also ein Mensch. Doch nicht jeder Mensch ist ein Klaus. Das ist der Unterschied zwischen Klassenbezeichnung und Name.

Etymologie (vorsicht, sehr spekulativ, nur ein Beispiel, das zeigen soll, wie lange sich alte Bedeutungen halten)
=> Nur einmal noch schauen wir kurz auf die Do und ihre beiden Wörtern für fließendes Wasser.
Viele unserer Flussnamen sind alt, sehr alt sogar. Und viele Flüsse in Europa haben die Vokale, A oder I am Anfang oder beinah am Anfang: Wörter mit A haben oft etwas mit Wasser zu tun: Au (feuchte Niederung), Ortsnamen wie „Abenden“ (Wasserwiese) oder Aachen (Wasser), Flussnahmen wie Ill, Iller, Gil, ja selbst Ell, Ellbach passen zu unserer Überlegung, wie die Wörtchen für fließendes Wasser wohl entstanden sind.

Ein anderes Beispiel: Nimm das Wort „Mama“. Es ist ganz gewiss einmal ein Empfindungswort gewesen. Es ahmt das Geräusch nach, wenn ein Säugling an der Brust seiner Mutter trinkt.

Also, „Mm, lecker“, sagen wir heute noch. Es ist eigentlich der Laut, den das Kind macht, wenn es bei der Mutter trinkt. Wenn der Säugling nach dem Saugen den Mund öffnet, dann kann ein kleines „a“ ertönen. Zuerst macht es „Mmm“, dann macht es „a“. „Mm“ macht der geschlossene Mund, „a“ ertönt, wenn man etwas Feines getrunken hat. Da haben wir das Wort Mama, das es so ähnlich in vielen Sprachen der Welt gibt. Selbst bei den alten Ägyptern war das Schriftzeichen für Mutter und Mutterbrust das gleiche, nämlich „Meme“.

Ja, das ist das Wort Memme, das kennen wir. Es bedeutet Mutterbrust, aber wir sagen es auch, wenn jemand weich ist wie eine Brust. „Simon ist eine Memme!“ Wenn wir das sagen, was wir gewiss nicht sollten, wenn wir es trotzdem tun, dann übertragen wir die Eigenschaft eines Körperteils auf den ganzen Menschen. Das memmt, oh, entschuldige, das nennt man auf Latein: pars pro toto = Ein Teil für das Ganze.

=> Lautsprache und Denken

Wir reden in Lauten, unsere Sprache besteht aus Lauten. Denken ist Laut. Wissenschaftler haben untersucht, was geschieht, wenn ein Mensch leise liest. Obwohl dieser Mensch keinen Laut von sich gibt, sondern die Laute nur in seinem Denken hat, bewegt sich beim leisen Lesen in seiner Kehle die Stimmritze. Diese Stimmritze ist dafür verantwortlich, dass der Mensch überhaupt Laute hervorbringen kann.
In alter Zeit, zu Beginn des Lesens, hat der Mensch nicht leise lesen können. Er las sich den Text leise murmelnd vor. Genauso wird der Mensch in noch früheren Zeiten nicht leise gedacht haben. Er hat laut gedacht, wie wir es heute noch manchmal tun, wenn wir zu uns selber sprechen.

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