Schriftwelt im Abendrot

Beiträge zur Medienphilosophie

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„Während wir auf die von der untergehenden Sonne des Alphabets noch immer ein wenig angeleuchteten Bilder starren, geht in unserem Rücken etwas Neues auf, dessen Strahlen bereits unsere Szenerie treffen. Ähnlich den Sklaven in Platons Höhle müssen wir uns umdrehen, um diesem Neuen die Stirn zu bieten.“
Vilém Flusser (1920-1991)

Der Medienphilosoph Vilém Flusser ist 1991 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Seine letzten Arbeiten beschäftigen sich mit der Bedeutung der Schriftkultur für das Denken der Neuzeit. Gleichzeitig entwickelt er die Vision von einer „telematischen“ Kultur, in der die Schrift ihren Vorrang einbüßt und von einer seltsamen Allianz zwischen Bild und Zahl in die Enge getrieben wird. Mit der rasanten Entwicklung neuer Kommunikationsformen im Internet beginnt seine Vision Wirklichkeit zu werden.

Doch um das Neue zu verstehen, muss man das Alte kennen. Wir tun gut daran, uns mit ruhigem Herzen und klarem Verstand umzudrehen, das milde Licht über der untergehenden Buchkultur zu nutzen und sie noch ein wenig zu betrachten. Zeit ist genug.

Allerdings erinnert diese Aussage an das Pfeifen im dunklen Wald, denn obwohl Lesen und Schreiben zwar weithin als ehrenwerte Tätigkeit angesehen wird, scheinen die dafür nötige Zeit, Muße und Stille aus dem Leben der Menschen zu schwinden, so dass ich mich manchmal frage, ob denn mit den Mitteln der Schrift noch etwas erfolgreich über sie selbst mitgeteilt werden kann.

Mehr als ein Jahrzehnt habe ich mich mit Schrift befasst, habe gesucht und gesammelt und lange nicht gewusst, was aus der Materialfülle, die ich da zusammentrug, einmal werden soll. Ich habe länger gewartet, als es die Neunerregel des Horaz verlangt: „Und neun Jahre werde es zurückgehalten, um zu prüfen ob es etwas tauge“.

Ich erwähne diesen Umstand nur, um offen zu legen, dass ich unter dem Einfluss persönlicher Neigungen und Dispositionen an das Thema herangehe. Man soll nicht glauben, dass sich die unermesslichen Weiten einer mehrtausendjährigen Schriftkultur und deren Umformung durch das Internet anders als auf subjektiv gewichtende Weise erfassen ließe. Es gibt auch keine interdisziplinäre Schriftwissenschaft, die hier helfen könnte. Die Vertreter der einzelnen Fachdisziplinen fahren in tiefen Spuren nebeneinander her und rufen sich allenfalls gelegentlich ein paar Worte zu. Was der andere da eigentlich findet, aufliest und untersucht, wissen sie nicht.

Und wie es an einem allgemeinen Verständnis mangelt, auf welche Weise Schreiben und Drucken unser Denken und unseren Alltag geprägt haben, steckt auch das Verständnis der Internetkultur in den Kinderschuhen.

Dabei geht es nicht um technische Fragen und auch nicht um die simple Beschreibung der Phänomene, sondern um den Versuch zu erhellen, auf welche Weise die Nutzung des Internets unser Denken und Fühlen neu ausrichtet.

Schon 1967 hatte der Medientheoretiker Marshal McLuhan (Das Medium ist die Botschaft) die Idee des globalen Dorfes propagiert, in der Menschen an verschiedenen Orten miteinander kommunizieren, wie es heute durch das Internet möglich ist. Doch anders als beim Gespräch über den Gartenzaun fehlen der Internetkommunikation wesentliche Elemente der mündlichen Kommunikation. Auch auf einer Blogplattform lässt sich erleben, dass im globalen Dorf neuartige Regeln gelten, andere Gefühle entstehen, andere Reaktionen möglich sind, als sie im direkten Austausch zwischen Menschen entstehen können.

Gegen die eher naive Vorstellung McLuhans setzt Flusser die Idee der telematischen Kultur. Er sieht eine nachalphabetische Kultur der technischen Bilder auf uns zukommen. Doch auch er zeigt die darin liegenden Chancen auf: Durch die Befreiung von räumlichen Zwängen entstünde eine neue Form der menschlichen Kommunikation, in der es keine Autoritäten mehr gibt, sondern einen basisdemokratischen Austausch von Informationen.

=> Aspekte der Alphabetkultur sowie Aspekte der nachalphabetischen Kultur (Internet, Blogging) sollen in Zukunft vorrangige Themen in der Offenen Blog-Universität sein. Um den Anspruch der Basisdemokratie einzulösen, verstehe ich meine Beiträge als Anregung zur Diskussion und freue mich auf einen regen Gedankenaustausch.

Trithemius

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