Augenpulver

Der Paläograph Bernhard Bischoff hat am Werk mittelalterlicher Schreiber gefunden, wie altersbedingte Fehlsichtigkeit zu einem steten Größerwerden der Schrift führt.

„Dies ist in den jährlich geführten Annalen des Regensburger Kanonikers Hugo von Lerchenfeld (1167-1216) und den vielen datierten Notizen des Bibliothekars Bernard Itier von Saint-Martial zu verfolgen.“

Das menschliche Maß, das natürliche Verhältnis zwischen Sehkraft und Schriftgröße wird bei der technisch erzeugten Schrift oft missachtet. In der Druckersprache heißen Texte in den schlecht lesbaren Schriftgrößen Diamant, Perl und Nonpareille (4, 5 und 6 Punkt) Augenpulver.

Die in Computer-Software verwendeten Schriftgrößen entsprechen dem amerikanischen Pica-Maß. Sie heißen fälschlich „Punkt“, sind jedoch etwa einen Punkt kleiner als das von den Druckern verwendete deutsch/französische Punktsystem. Hier im Blog also sind die Größen 5, 6, 7 schon Augenpulver.

Der Augenarzt Hermann Cohn sieht in seinem Buch „Wie sollen Bücher und Zeitungen gedruckt werden“ (Braunschweig 1903) einen statistisch belegten Zusammenhang zwischen zunehmender Kurzsichtigkeit bei Schülern und dem schlechten Druck der verwendeten Schulbücher. Neben mangelnder Schwärze des Drucks seien vornehmlich die zu kleinen Buchstaben die Ursache des Übels. Seine Messungen gipfeln in der Erkenntnis, dass aus „augenhygienischer Sicht“ die Schrift nicht kleiner als 10 typographische Punkt (11 pica) sein sollte.

Guter Satz lässt sich nach Cohn mit einem einfachen Zeilenzähler erkennen. Man schneidet aus einer Karteikarte ein Feld von 1 * 1 cm. Dieses Fenster wird über die Druckseite gelegt.

„Nur wenn keine Spur mehr als zwei Zeilen im Loche sichtbar ist, entspricht der Druck in Größe und Durchschuß den oben als hygienisch wünschenswert genannten Maßen. (…) Kommen mehr als zwei Zeilen zum Vorschein, so ist der Druck schlecht. In wenigen Sekunden kann nun jedermann das Gute vom Schlechten unterscheiden in Büchern und Zeitungen. (…) Dadurch wird die Kritik des Druckes jetzt so außerordentlich leicht und einfach (…): Jedes Buch kommt auf den Index, bei welchem mehr als zwei Zeilen in dem Zeilenzählerloche sichtbar werden.“

Im Beispiel erscheinen drei Zeilen. Die Schrift ist also zu klein. Der Augenarzt Cohn hat vor 102 Jahren nicht ahnen können, was im Zeitalter des Computers auf die lesenden Augen einströmt. Das Lesen vom Bildschirm ist weit schwieriger als das Lesen vom Papier. Zudem muss möglichst viel auf das Querformat des Monitorausschnitts passen, so dass man auf kleinere Schriftgrößen zurückgreift, wie auch hier im Blog. Dann droht: „Augenmuskelkater“(Trithemius).

Kannst es ja mal testen an deinem Monitor – mit einem Zeilenzähler aus einer Karteikarte gemacht.

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