Ein Sonntagswort für Dich!

… die Sonntagsworte kommen heute schon von den Besuchern. Da kann ich kaum mithalten. Und ich werd’s kurz machen. Damit sich keiner die Beine in den Bauch steht.
Einen Baum habe ich heute nicht umarmt, alles kommt von meiner Zimmerpalme.

Gestern schien die Sonne, und ich fuhr mit dem Rad in die Niederlande. Ins schöne Mergelland, das steile Hügel und weite Täler hat, mit pittoresken Dörfern, in denen alles so herausgeputzt ist. Ich bog hinter Lemiers von der Maastrichter Laan in einen Weg ab, der die Flanke eines Höhenrückens hinaufführt. Zum Schluss hin wird er ziemlich steil. Und wo er am steilsten ist, da führt er fast gerade hinauf, biegt oben nach links, und man hat es hinter sich als Radfahrer.

Genau an der Biegung führt auch ein Weg schräg nach rechts. Es ist eine Ypsilon-Abzweigung. Doch bevor ich etwas darüber sage, noch mal ein gutes Stück nach unten.

So auf halber Höhe steht eine Bank. Die Sonne wärmte, ich hatte keine Eile, und ich wusste, da kommt gleich noch das steile Stück. Also erst einmal Pause. Da saß ich gut, sah ins Tal hinunter und folgte mit dem Blick einem Bach, der sich durch die Wiesen zum nahen Flüsschen Geule oder Göhl schlängelt. Und irgendwie, ich weiß nicht warum, griff ich hinter mich in die Böschung ins Gras. Es fühlte sich fast an, als würde ich die Haare einer Frau durch die Finger ziehen. Ich schloss die Augen und stellte es mir eine Weile vor. Da habe ich gestaunt über mich. Doch dann sagte ich mir – es ist Mutter Natur, also auch eine Frau.

Diese Frau erzählte mir dann, da weit unten, ich solle mal gucken, da sei doch dieses schöne Wasserschloss an der Göhl.

Tatsächlich, und wie ich so den Blick hinwandern ließ, da drehte sich die Zeit zurück.

Ich sah einen gut situierten Mann in seiner Bibliothek sitzen. Er hatte, weil die Sonne schien, die Türflügel zum Rosengarten auf, das Licht fiel auf seinen Teppich, bis fast an seine Füße. Er saß an seinem Schreibtisch, der Kalender zeigte den 11. Dezember 1905.

Seit gestern hatte er überlegt und überlegt, war draußen gewesen, einen ganzen langen Weg gegangen und hatte alle Möglichkeiten erwogen, die ihm als gut in den Kopf gekommen waren.
Heute Morgen hatte er noch ein paar Bücher gewälzt. Und jetzt hatte er sich entschieden.
Er warf noch einmal einen Blick auf ein Schachbrett, prüfte die neue Stellung, nahm den Füller und schrieb: „Tb6-b4“.
So, das war’s.
Er faltete das Blatt und steckte es in ein Couvert. Morgen würde Grietje den Brief zur Post tragen.
Mijnheer van Zeldenrust spielte nämlich Fernschach.

Der Brief würde eine Weile bis nach Australien brauchen.
Er musste ja das Schiff nehmen.
Henry Catelbow, ein Nachfahre des Grafen Katzenellenbogen, wird ihn erst fünf Monate später öffnen.

Die Schachpartie dauerte bereits 21 Jahre. Sie waren beide grau darüber geworden, doch nicht, weil sie sich geärgert hätten. Einfach so. Denn sie fanden nichts dabei, die Langsamkeit in ihrem Spiel zu haben. Irgendwann einen Brief zu bekommen, ihn in freudiger Erwartung zu öffnen, zum Schachbrett zu gehen und zu prüfen, was der andere raffinierte Hund sich da wieder für einen Zug ausgedacht hatte.

So, nun leider wieder zurück in die Gegenwart. Über den Unterschied zwischen langsamer und schneller Kommunikation werde ich bald noch einmal was schreiben. Er ist gewaltig und bestimmt die Form des Denkens.

Doch ich dachte erst mal gar nichts, fuhr los, musste bald aus dem Sattel und stampfte den steilen Anstieg hoch. Oben bei der Ypsilon-Abzweigung war ich froh, dass die asphaltierte Strecke nach links bog und flach wurde. Da ging ein Mann, und wir grüßten uns. Außerhalb der Ortschaften ist hier Grußpflicht. Dann muss ich immer holländisch „dag!“ oder „hoi!“ oder so was sagen. Macht Spaß!

Doch zurück zur Abzweigung. Der rechte Weg ist steil und mit Gras bewachsen. Mit dem Rad nicht zu befahren, denn er ist ja nass und schlammig unter dem Gras.

So ist es leider oft mit dem rechten Weg. Er nötigt uns einen ziemlichen Aufwand ab. Doch wäre ich langsam den Berg hoch gekommen, zu Fuß, ich hätte mir Zeit gelassen, ja dann hätte ich diesen rechten Weg einmal erkundet. Er hat eine schöne Böschung links und rechts, oberhalb stehen die Apfelbäumchen in Reihen, die jetzt natürlich bereits von fleißigen Polinnen und Polen abgeerntet sind.

Doch wer weiß? Vielleicht steht am Ende des mühsamen Weges ein herausgeputztes Häuschen. Eine schmucke Frau tritt vor die Tür und lächelt mich an. Sie poliert einen schönen Apfel am Kleid über ihrem Busen und reicht ihn mir.

Dann werde ich sagen, wenn mich mal einer fragt:
„War gut, dass ich damals doch den rechten Weg genommen habe.“

P.S.: Übers Ypsilon später dann noch einmal.

Dieser Beitrag wurde unter Teppichhaus Intern abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Kommentare zu Ein Sonntagswort für Dich!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.