21. September 1992 – Herbstluft

Wie ein zäher Brei aus unerschöpflicher Quelle zieht der Autolärm der nahen Straße dahin, völlig gleichmäßig und eintönig, ohne je abzuebben oder anzuschwellen. Da möchte man gar nicht glauben, dass der Klangbrei von verschiedenen Automobilen erzeugt wird, die von einander völlig fremden Fahrern gesteuert werden. Wie viele müssen dich auf dicht einander folgen, um gerade den Lärmbrei mit just dieser Konsistenz zu formen, wie er von der abendlichen Herbstluft dreist durch mein offenes Fenster geleitet wird? Wer rührt den Brei an? Wer überwacht seine Klangfarbe? Wer ruft den sorgenden Familienvater weg vom Abendtisch und befiehlt ihm, seinen Platz in der Reihe einzunehmen? Jede Sekunde muss doch einer „Du bist gleich dran!“ hören, den Löffel auf den Esstisch fallen lassen oder von sonst wo sich erheben und in sein Auto springen, wo er mit dem Gaspedal pumpt und den Zündschlüssel dreht, um seine gesellschaftliche Pflicht als Autofahrer zu erfüllen und Teil des Breis zu werden.

(Auf den Tag genau 20 Jahre alte Tagebuchnotiz)

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