O Gott, ich bin ja gar nicht Rob! – Über Territorialmarken

Das große Mietshaus, in dem sich die Teppichhausräume befinden, hat eine zweiflüglige schwere Außentür zur Straße. Innen an der Tür ist ein rechteckiger Drahtkorb, und von außen ist ein Briefschlitz für Zeitungen. In diesem Korb fand ich letztens eine neue Territorialmarke. Weiter unten werde ich sie zeigen und beschreiben. Sie erinnerte mich an eine andere schriftliche Territorialmarke, die etwa 20 Jahre alt ist, über die ich vor fünf Jahren schon einmal geschrieben habe. An den beiden Texten lässt sich ein wesentlicher Unterschied feststellen, der vielleicht eine Veränderung des allgemeinen Denkens und gesellschaftlicher Gepflogenheiten anzeigt.

Die Territorialmarke entzieht ein Gebiet der willkürlichen Nutzung durch Unbefugte. Ihre ursprüngliche und unmittelbare Erscheinungsform ist der Duft. Höhere Formen wie etwa Grenzsteine wirken nur mittelbar, da sie Erfahrung, Kenntnisse oder ein gewisses Maß an Vereinbarung voraussetzen. Territorialmarken können gegenständlich, bildhaft oder schriftlich fixiert sein.

Hallo Hund, namens Joe oder so,
Der Gehweg ist kein Hundeklo.
Vielleicht sagst Du das auch
Deinem Herrchen oder Frauchen!

(Zettel am Zaun eines Hauses in Aachen)

Die Mahnung an den Hund spielt mit verschiedenen Zeichenebenen. Wo der Hund seine Duftmarke abgesetzt hat, erwidert der Mensch mit den Mitteln der Poesie. Tatsächlich berühren sich die beiden Kommunikationsebenen jedoch nicht, denn hier ist ein Mittler nötig „Herrchen oder Frauchen“ und der wird allein auf der Ebene der Buchstabenschrift angesprochen, hier aber nur indirekt und unverbindlich. Zwingend erfolgreich wäre nur, wenn der Besitzer des Vorgartens eine eigene abschreckende Duftmarke auf den Bürgersteig gesetzt hätte.

In der Eifel hat sich bis in die heutige Zeit eine schriftlose Territorialmarke erhalten, der Strohwisch am Weidenpfahl. Mit einem Strohbüschel am Weidenzaun untersagt der Bauer das Durchziehen einer Schafherde. „Früher gab’s kaum Strohwische auf meinem Weg. Die alten Bauern hatten alle Verständnis für unsereins“, klagt ein Schäfermeister in einer Reportage der Aachener Nachrichten vom 15.3.1995. Die jungen Landwirte würden den Schafen nicht einmal mehr das bisschen Gras gönnen, das sie während ihres Zugs fressen. „Leider nimmt diese Form des Futterneids immer mehr zu.“

Den Ethnologen wird der wiederbelebte Gebrauch dieser gegenständlichen Territorialmarke freuen, die Sympathie aber gehört den Eifelschäfern und nicht den geizigen Wiesenbesitzern, die einen Strohwisch winden, gegen den es keine Widerrede gibt. Denn der Gebrauch des Strohwischs ist unwirsch und zeigt unmissverständliche an, dass der Eigentümer über das Verbot keine Worte zu wechseln bereit ist. Es scheint, als würde auf diese Weise eine höhere Verbindlichkeit erzielt als mit einem schriftlichen Verbot, weil die Marke eine archaische Zeit vergegenwärtigt, in der unerbittliche Regeln galten.

Auch die Tags im Straßenbild der Großstädte können Territorialzeichen sein. Sie kennzeichnen dann das Gebiet einer Gang und haben hohe Verbindlichkeit, der in manchen Ländern gegebenenfalls durch Schusswaffengebrauch Nachdruck verliehen wird.

Diese Territorialmarke aus dem Jahr 1989, die sich unter den Scheibenwischern mehrerer Autos fand, hat keine Anrede, sondern hebt sofort an mit einer Beschuldigung. Sie gewinnt ihren Nachdruck nicht durch den Namen – „gez. Eckmann“, sondern gerade aus der Vertuschung des Subjektiven durch die Verwendung von unpersönlicher Schreibmaschinenschrift und durch den Hinweis „von amts wegen“. Der Schreiber des Zettels appelliert an die Obrigkeitshörigkeit des Adressaten. Offenbar ist er selbst obrigkeitshörig, erlebt die Macht der Obrigkeit und übt selbst Obrigkeit aus, indem er nach oben buckelt und nach unten tritt. Er muss das für den Normalfall halten, sonst würde er nicht auf die Wirksamkeit seines Textes vertrauen.


Der Zettel aus dem Jahr 2012, den ich im Zeitungskorb an der Haustür gefunden habe, ist ganz anders. Zunächst ist er ansprechend gestaltet. Dem „lieben Verkehrsteilnehmer“ legt der Hausbesitzer in Ichform freundlich dar, warum es nicht richtig ist, vor dem Eingang zu parken. Es ist ein Appell an die Einsicht. Zum Schluss kommt eine leise Drohung für den Wiederholungsfall, der Hinweis auf die möglichen Kosten. In Zettel eins geht es um eine angeblich amtliche Verfügung gegen die Gefährdung von Menschen durch falsches Parken. Der Text soll Angst einjagen. Welche Berechtigung und welche Gründe „eckmann“ hat, wird nicht deutlich. Der Schreiber von Zettel zwei erklärt sich sowie den Sachverhalt, wendet sich an die Vernunft und verweist auf mögliche Kosten der Zuwiderhandlung. Der Text soll durch Argumente überzeugen und entspricht damit einer offenbar veränderten gesellschaftlichen Grundhaltung. Aber dem Falschparker ist auch damit nicht beizukommen. Er verweigert einfach die Annahme und schiebt den Zettel durch den Briefschlitz. Return to sender.

In einem niederländischen
Einfamilienhaus fand ich einmal neben den Ehebetten zwei prachtvolle Bettvorleger, in die die Namen „Jolanda“ und „Rob“ eingewirkt waren. Das linke Bett gehörte Jolanda, das rechte Rob. Oberflächlich betrachtet handelt es sich hier um Eigentumsmarken. Wenn jedoch einmal eines Morgens ein fremder Mann neben Jolanda aufwacht, die Füße auf den Bettvorleger stellt und wenn ihn dann die plötzliche Einsicht mit erschreckender Wucht befällt, „O Gott, ich bin ja gar nicht Rob!“ dann wird klar, dass auch solche Bettvorleger eindeutig Territorialmarken sind.

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