Eintritt ungewollt – Austritt in Zimmer 446

Am achten Tag, also irgendwann im 19. Jahrhundert, war der liebe Gott ziemlich klamm. Da erfand er die Kirchensteuer und verfügte, dass sie vom Staat eingezogen werden soll. Diese Vereinbarung erneuerte sein päpstlicher Vertreter auf Erden 1933 mit den Nationalsozialisten im Reichskonkordat, und bei der Gründung der Bundesrepublik wurde sie ins Grundgesetz geschrieben. Seither streichen die Finanzämter jährlich etwa fünf bis sieben Milliarden Euro ein und überweisen sie an die göttliche Finanzverwaltung. Von dem Geld ließ der liebe Gott zuletzt die galaktische Kegelbahn sanieren, damit es auf Erden nicht mehr so rumpelt, wenn die Engelchen kegeln.

Wem die gelegentlichen Gewitter schnurz sind, der könnte eigentlich aus der Kirche austreten. Das habe ich getan, und zwar im Jaher 1993. Zunächst wusste ich nicht, wie das geht. Ich telefonierte mit der Stadtverwaltung. „Beim Amtsgericht, Nebengebäude, Augustastraße 78!“, sagte der Telefonist sehr barsch, und wie ich mich noch wunderte, dass ein Kirchenaustritt Gerichtssache ist, zack, hatte er auch schon aufgelegt.

Ich gehe in die Augustastraße. Zwischen hohen Wohnhäusern steht ein schmuddelig weiß geklinkerter Bürobau ohne Hausnummer. Auf einem Schild am Eingang: „Staatsanwaltschaft, Zivilstrafsachen, Zwangsvollstreckung“. Das kann es nicht sein, denke ich. Ich will ja im Himmel nicht zwangsvollstrecken lassen, auch den lieben Gott nicht wegen unterlassener Hilfeleistung anklagen, sondern nur aus der Kirche austreten. Das nächste Haus hat die Nummer 80. Also doch. Zurück und hinein, hoffentlich sieht mich keiner. Die Pförtnerloge ist mit einer Spanplatte vernagelt. Auskunft gibt es in Zimmer 4, verrät ein Zettel. Dort sitzen zwei beim Kaffee, ein Dritter schreibt etwas in eine Liste. Den Listenführer frage ich: „Wo kann ich aus der Kirche austreten?“
„Vierte Etage!“

Um aus der Kirche auszutreten, muss man also ganz nach oben. Das hat eine gewisse Logik. Bis weit ins Mittelalter hinein musste man den Eid am offenen Fenster leisten, damit die Götter davon Kenntnis erhielten. Würde mich nicht wundern, wenn Zimmer 446 schräge Dachflächenfenster hätte, damit man droben in der Zentrale gleich mitschreiben kann. Auf der 4. Etage hängt ein Hinweisschild. „Kirchenaustritte Zimmer 446“. Wieso Austritte? Ob es welche gibt, die nach dem Austritt wieder eintreten und erneut austreten, wie manche sich das Rauchen ein paar Mal abgewöhnen? „Ich komme einfach nicht vom Weihrauch weg!“ Oder ob da welche in Rudeln herkommen, um kollektiv auszutreten. Ach nein, die würden ja doch nur einzeln vorgelassen, in Zimmer 446.

Zimmer-446-Kirchenaustritte

In dieser engen Amtsstube sitzen zwei, hoch über der Stadt, und sehen mich an. Der eine steckt die Nase in eine Akte zurück, der andere, ein Mann mit einem schönen kugelrunden Kopf, wendet sich mir zu.
„Ich möchte aus der Kirche austreten.“

Die Nase in den Akten schnaubt verächtlich. Na, was denn sonst, wenn einer in Zimmer 446 auftaucht! Der andere sagt flott: „Ihren Personalausweis, bitte!“, greift nach einem Formular und spannt es in eine elektrische Schreibmaschine ein. Die steht direkt unterm Fenster und macht einen höllischen Lärm. Die Symbolik ist klar, meine Herren! Einen Augenblick hält er mit dem Hämmern inne. „Aus welcher Religionsgemeinschaft möchten Sie austreten?“ Im Zweifel aus der römisch-katholischen. Das ist am allerbesten. Wenn ich nur an die Zigtausende denke, die man an Kirchensteuer bei mir abgemolken hat, ohne auch nur ansatzweise Rechenschaft abzulegen, was mit dem Geld geschehen ist. Man denkt vielleicht an die Caritas und so. In Wahrheit gehen nur ein paar lausige Prozent des Kirchensteueraufkommens in wohltätige Einrichtungen.

Der Mann an der Schreibmaschine will jetzt allerlei subtile Sachen von mir wissen, Postleitzahl, Familienstand, Geburtstag der Ehefrau, Tag der Eheschließung. Das letzte ist leicht, denn es geschah an einem 13. August.
„War das denn wenigstens ein Freitag?“
„Kann sein.“
„Na, dann muss die Ehe ja noch in Ordnung sein, sonst wüssten Sie das, hehe!“
Muss ich mir das gefallen lassen? Habe ich mit dem Kirchenaustritt mein Recht auf Wahrung der Intimsphäre verwirkt? Bin ich jetzt verächtlich wie ein entsprungener Jesuit?
„Bitte unterschreiben Sie hier!“
Endlich, wir werden wieder dienstlich.
„Sie bekommen jetzt Nachricht vom Amtsgericht.“
„Wie, was, wird das jetzt nicht in meine Lohnsteuerkarte eingetragen? Die habe ich extra mitgebracht.“
„Nein, der Kirchenaustritt gilt zwar ab morgen, aber steuerlich wirksam wird er erst mit dem 1. März.“

Lieber Gott, das
sind drei Monate, in denen ich zwar keine Ansprüche mehr auf kirchliche Leistungen habe, aber weiter bezahlen darf. Der lange Arm der Kirche, nein, die langen Finger strecken sich und zupfen mein Portemonnaie. Was soll das sein, eine Heidenstrafgebühr? Steht denn diese postkatholische Beutelschneiderei auch im Reichskonkordat?

Nachspiel 1
Vier Wochen später war bei der Post die gerichtliche Austrittsbestätigung. Weil die Lohnsteuerkarte auf den Daten des Melderegisters basiert, muss man mit der Austrittsbestätigung das Einwohnermeldeamt aufsuchen. Eine gleichgültige Dame rief meine Daten auf den Bildschirm und löschte den Eintrag „römisch-katholisch“. Gegen die Computerisierung der Verwaltung lässt sich allerlei einwenden, aber hat das Tilgen aus dem Zentralregister nicht etwas Kosmisches, an das die Änderung einer simplen Karteikarte niemals heranreichen könnte? Nur wer die katholische Ohrenbeichte kennt, hat je das erhebende Gefühl der Entlastung und Läuterung nach der Absolution erfahren. Wie beschwingt war in Kindertagen mein Schritt, wenn ich danach das Halbdunkel der Kirche verließ. Woran liegt es nur, dass mich just dieses angenehme Gefühl umfing, als ich die Stufen des Einwohnermeldeamtes hinab stieg?

Nachspiel 2
Der Pfarrer des Sprengels, zu dem ich gehört hatte, schickte mir einen zudringlichen Brief, um Wermut in den süßen Wein der Freiheit zu gießen. Er bedauere meinen Entschluss und rate mir dringend, mich in einer ruhigen Stunde der Familie als Heide zu offenbaren. Das würde meinen Angehörigen peinliche Erfahrungen nach meinem Ableben ersparen. Das leuchtete mir unmittelbar ein. Ich sah meine Lieben in Schwarz, verstohlen in weiße Tücher schnaubend. Natürlich ist es notwendig, sie darauf vorzubereiten, dass man mich ohne priesterlichen Beistand an der Hecke verscharren wird. Ob dieser trüben Aussichten blieb mir ein Trost. Der um mein Seelenheil besorgte Pfarrer bot an, mit mir über meinen Entschluss zu sprechen. Warum? Eigentlich kennt die Katholische Kirche doch gar keinen Austritt aus der Glaubensgemeinschaft. Eine Taufe kann nicht rückgängig gemacht werden. Es ging also nur um mein Geld.

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