Abendbummel Online – Schmutziger Mann und schwarzer Engel

=> Heute saß der elende Mann an einer Kreuzungsecke. Er lehnte an einer Hauswand und sah dem Hin und Her auf der Kreuzung zu. Neben ihm auf dem Bürgersteig stand eine Bierflasche.

Nun ist er mir also zum dritten Mal begegnet, und deshalb werde ich jetzt die beiden ersten Begegnungen schildern.

=> Vor einigen Tagen war ich auf dem Weg in die Innenstadt. An eben jener Kreuzung sah ich den Mann. Die Natur bringt viele Spielarten der menschlichen Gestalt hervor. Solche, die von großer Schönheit und Anmut sind, Menschen mit durchschnittlichen Konfektionsgrößen und eben auch Menschen mit grässlichen Verwachsungen. Nie zuvor sah ich einen derart von der Natur geschlagenen Mann wie ihn.

Er versuchte, die Kreuzung zu überqueren. Mag sein, dass er bei Grün losgegangen war. Doch seine Fortbewegungsart war nicht angetan, in einer Ampelphase die Kreuzung zu überqueren. Er knickte beim Gehen in der Hüfte ein, wodurch auch das Bein eine ruckartige Kreisbewegung nach außen machte. Das rechte Bein wurde mehr gehoben als genickt. Es stieß seitlich in die Luft, bevor es aufsetzte. Sein verwachsener Rücken spannte sich dabei, denn er ruderte weitausladend mit den Armen, um sein Gleichgewicht zu halten. Klar, man sah, in welche Richtung er wollte, doch jeder seiner Schritte schien geeignet alles zu bewirken, nur kein wirkliches Fortkommen.

Weshalb saß dieser Mann nicht im Rollstuhl? Er war ein Stadtstreicher, völlig verwahrlost, grau und schmutzig der ganze Mann. Sein Gesicht war unter dem Dreck ganz hübsch. Er war auch noch nicht alt. Doch das Leben hatte grässliche Spuren in sein Antlitz gehauen.

=> Zwei Tage später sah ich ihn zum zweiten Mal. Die Sonne schien, und über dem Markt hing das Brummen unzähliger Stimmen der Müßiggänger an den Cafétischen. Ich querte den Platz, denn ich wollte zum Kiosk. Unter einer Kastanie auf einer Steinbank saß der Mann. Vor ihm hockte ein sehr junger Punker. Ich dachte, dass die beiden sich unterhielten. Doch als ich vom Kiosk wieder zu ihnen hinübersah, war ich gerührt. Neben dem Mann stand auf der Steinbank eine Schale Pommes frites. Der Punker stach ein ums andere Mal den Pikser ein und fütterte den Mann. Dabei zeigte der Punker eine Engelsgeduld. Denn auch das Kauen fiel dem Mann schwer. Trotzdem sah er zufrieden aus. Er wirkte wie ein kleines Kind. Ja, als kleines Kind war er auch gefüttert worden. Vielleicht war es die größte Zuwendung, die er je erhalten hatte.

Die Müßiggänger an den Tischen hatten keinen Blick für das Paar. Man schaut nicht gerne hin, wenn man jemanden sieht, der von Natur und Gesellschaft geschunden worden ist. Wieso geht er auch nicht in ein Heim und lässt sich ordentlich wegschließen?

Der Punker jedenfalls hat mir imponiert. Ich fühlte mich unbedeutend und wenig nützlich angesichts dieses Jungen, der offenbar mehr Herz hatte als alle anderen auf dem Markt zusammen.

Guten Abend

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