Abendbummel online,Munck, Leben

„Herr Trithemius? Zeit für den heutigen Reklamezettel!“

Gut. Zuerst die Zutaten:
– Rudi Carrell
– Sahne
– Dessous
– 2 Porreestangen
– Edvard Munch
– leere Flaschen
– neue Filiale
– Ecken aufräumen

Bei mir hatten sich leere Flaschen angesammelt. Doch ich wollte sie nicht alle auf einmal wegbringen. Wenn man das macht, mit zwei vollen Tüten leerer Flaschen in den Supermarkt geht, dann gucken sie dich alle an und du weißt, sie denken, ach, der ist blank und muss das Kapitaldepot der armen Leute auflösen, damit er sich zwei Porreestangen und Schlagsahne kaufen kann. Dann behandeln sie dich auch so. Du gibst 30 leere Flaschen zurück und fängst dir 30 mitleidige Blicke ein.
Also dachte ich mir, ich bringe bei jedem Einkauf drei Flaschen zurück. Die packe ich mir in den Rucksack, wenn ich in die Stadt gehe. Und wenn ich jedes Mal nur eine neue Flasche kaufe und drei zurückgebe, habe ich irgendwann keine leeren Flaschen mehr in meiner Küchenecke, sondern kann mehr Flaschen zurückbringen, als ich überhaupt eingekauft habe.
Das ist dann ein guter Nebenverdienst, und bald kann ich davon eine neue Filiale eröffnen.

„Herr Trithemius!“
„Frau Nettesheim?“

Also noch mal neu:
In meinem Leben passieren zur Zeit magische Dinge. Draußen ist es saukalt, und plötzlich tauchen überall Plakate mit halbnackten Frauen auf. An den Litfaßsäulen und den Plakatwänden. Also heute auch, von Galeriea Kaufhof, eine blonde Frau in schönen Dessous. Ich bin extra noch einmal zurückgegangen und habe gekuckt, ob sie eine Gänsehaut hat.

Hatte sie aber nicht. Es ist nämlich so: Die Werbefotos werden ein halbes Jahr früher gemacht. Deshalb hat die blonde Halbnackte keine Gänsehaut, denn als sie fotografiert wurde, war es warm. Wenn du eine Gänsehaut sehen willst, musst du im Sommer ganz nah an eine Litfaßsäule rangehen. Denn die Frau im Sommerbikini, die haben sie im Winter fotografiert. Sie haben irgendwo den Schnee weggeschippt und Eis vom Boden weg geschlagen, und dann haben sie ihr gesagt: „Jetzt zieh dich aus und beiß die nächsten drei Stunden die Zähne zusammen.“
Wenn du genau hinguckst mal im nächsten Sommer – sie lachen nicht, sie unterdrücken das Zähneklappern.

In unserer besten Fußgängerzone gibt es ein schmales Geschäft mit teuren Dessous. Da kam eine junge Frau raus und drehte sich sofort weg und stellte sich mit dem Rücken zu mir in eine Gasse, so wie manche Männer das tun, wenn sie aus dem Pornoladen kommen, und gerade geht die Nachbarsfrau vorbei. Sie kam gar nicht mehr raus aus der Ecke, und ich konnte nicht länger warten.

Jetzt zu den magischen Dingen. Als ich nach Hause kam, hatte ich keine Post im Briefkasten, sondern Werbung von einem Dessousgeschäft. Ich dachte, wenn das kein Fingerzeig ist – das ist heute dein Thema.

Bild titelt: Rudi Carrell redet vom Sterben. Es geht um Lungenkrebs. Das tut mir leid für ihn, denn er hat doch früher die Leute zum Lachen gebracht, wenn die Witze auch billig und überall in der Welt zusammengeklaut waren. Was Rudi Carrell genau über das Sterben redet, weiß ich nicht. Denn wenn ich mir eine Bildzeitung kaufe, schäme ich mich mehr als käme ich mit 30 Flaschen in Tüten aus einem Dessousgeschäft und meine Nachbarin käme vorbei.

Doch ich hätte einen Trost für Rudi Carrell: Ein Gedicht über Edvard Munch, den Mann, dessen Gemälde so gern gestohlen werden.

Das habe ich einmal zu seinem Todestag gemacht, zu einem Bild von ihm kurz vor seinem Tod, weil mich seine großen Hände angerührt haben, wie er sie auf den Knien ruhen lässt.

Hör Edvard, sprach der liebe Gott
Du bist nun achtzig Jahr,
Warst fleißig stets und nie bigott
Und wie man hört als Maler ziemlich achtbar,
Komm doch ein bisschen rauf zu mir,
Wir woll’n uns unterhalten.
Schließ ab das alte Atelier
Fass nichts mehr an, lass alles still erkalten.

Das ist mir Recht, sprach Edvard Munch
Ich langweil’ mich doch gegenwärtig
Und sitze nur noch leis’ herum,
Mein Lebenswerk ist nämlich fertig.

(Aber, lieber Rudi Carrell, weil dann im Himmel gerade renoviert wurde, wollten sie Edvard Munch doch nicht so rasch haben. Darum hat er sich noch Dostojewskis Dämonen vorgenommen und den Roman in aller Ruhe gelesen. Und das ist ein dicker Roman.
Am 12. Dezember 1943 ist er gestorben. Mit 80 Jahren, und du, Rudi, siehst doch höchstens aus wie 55. Bestimmt kannst du nächsten Sommer noch nachgucken, ob die halbnackten Frauen eine Gänsehaut haben, alter Schwede Holländer.)

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