Was essen wir heute lieber nicht? Sauerkraut

Lange Zeit konnte ich kein Sauerkraut essen, obwohl ich es eigentlich gerne gemocht habe. Das kam so. Mit zehn Jahren wurde ich im Winter in den tief verschneiten Schwarzwald verschickt. Sechs Wochen „zur Erholung“ hieß das damals. Ich war da sehr unglücklich, obwohl wir die Einrichtung in einem Lied besingen mussten: „Ein Paradies für Kinder – Waldfriede wird’s genannt.“ In diesem Kinderparadies herrschte strenge Zucht. So zwang man auch einen offenbar kranken Jungen, im Speisesaal mit am Tisch zu sitzen und zu essen. Er saß mir gegenüber, ein schmales, ängstliches Kind, und war schon graugrün im Gesicht, als der Essensbefehl kam.

Es gab Bockwurst mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Wir schaufelten es artig rein. Plötzlich, ganz unvermittelt, brach es aus dem Jungen hervor, und er kotzte eine satte Portion Sauerkraut und Bockwurststücke übern Tisch. An dieses Elend musste ich viele Jahre denken, wenn ich Sauerkraut sah. Und jetzt wieder:

Theodor Fontane ging einmal durch Berlin. In einer Straße hörte er fürchterliche Schreie und sah, wie ein Händler vor seinem Laden einen Jungen verprügelte. Fontane stellte den Mann zur Rede, und der sagte:

„Denn wer ick Ihnen mal wat erzählen. Jeden Tag jeht der Bengel hier vorbei, un denn steht er still un denn passt er uff. Un wenn jrade keener hinsieht, stellt er sich an det Fass mit den Sauerkohl und denn, na denn, denn pisst er rin. Nu schad’t det dem Kohl ja nischt, aba ick frage Ihnen, wat soll der Unsinn?“ (Nach: „Dichteranekdoten – Donnerwetter! Da hab‘ ich mich umsonst besoffen“)

Dieser Beitrag wurde unter Ethnologie des Alltags abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

6 Kommentare zu Was essen wir heute lieber nicht? Sauerkraut

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.