Schnee von gestern

Fast war noch Nacht. Der Sturm heulte im Schornstein, tobte und pfiff, bog die Laternen, trieb den glitzernden Schnee durch ihre Lichtkegel, ließ die kahlen Äste der Straßenbäume erzittern und fegte die Vögel von den Dächern. Im Fallen sind sie schon steif gefroren, polterten wie steinerne Kugeln über die Dachziegel und zerbarsten auf dem Bürgersteig. Einige Leute hasteten geduckt vorbei, schwangen eilends die Hufe, soweit es die Glätte zuließ. Wo alles Leben erstarrt, durften sie nicht lange sein. Und in dem Sausen und Brausen ist ganz stoisch die erste Straßenbahn vorüber gezogen und hat ein paar Leute zum Erfrieren stadtauswärts gebracht.

Draußen vor der Stadt war nichts, was dem Schneesturm Einhalt bieten konnte. Da geriet er in Raserei, peitschte die nackten Rücken der Felder und drosch die armen Hasen aus ihren Mulden. Und als wäre er wundgeprügelt, zeigte sich am Horizont ein blutroter Streif. Wohl dem, der irgendwo hin gehört, ein Dach überm Kopf hat und ein Feuer im Kamin, wo man ihn erwartet und sitzen lässt.

Was aber geschah am 12. 12. 12 um 12:12 Uhr? Nichts. Der Sturm hatte sich gelegt, die Natur schien wie erstarrt unter der Schneelast, doch die Welt hielt nicht inne, und es war auch kein Zeichen am Himmel. Aber „Schneechaos!“ wird mal wieder von den Medien gerufen. Ein Mann stapfte daher, trug eine Aktentasche unterm Arm, worin keine Aktenmappe, keine Thermosflasche, kein Henkelmann, sondern eine Tiefkühlpizza ohne Umverpackung steckte. Ein eisiges Hasenbutterbrot, das einem Hasen aus der Kiepe geflogen war, als er vom Feld gefegt wurde.

Schneechaos: Ein Mann von der Stadtreinigung im orangefarbenen Overall hat den Laternenmülleimer geleert, hat ihm unten die Klappe geöffnet und einen grauen Plastikmüllsack drunter gehalten. Jetzt bückt er sich und nimmt mit den nackten Händen Schnee auf, um sich damit die Finger zu waschen. Na, die werden sich bedanken. Wollen unter diesen Umständen lieber nicht sauber werden. Und der weiße Schnee? Wollte nicht dreckig werden und hat den Müllmann eiskalt in die Finger gebissen. Am 12.12.12, um zwölf Uhr zwölf. Da bescheren dem Mann Kalender und Uhr eine magische Zahl, und er macht nichts weiter daraus als einen Laternenmülleimer zu leeren und sich vom Schnee in die Finger beißen zu lassen.

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