Mittagsplausch mit Frau Nettesheim – Abtrünnige Eisheiligen

Trithemius
Erinnern Sie sich, Frau Nettesheim, dass wir noch vor wenigen Wochen unter einem langen kalten Winter geächzt und gestöhnt haben? Ich habe noch immer kein Gefühl in der Fingerkuppe hier, die mir im Eisregen des Bergischen Landes befroren ist, und jetzt…

Frau Nettesheim
…scheint es, als wäre der Frühling bereits vom Sommer abgelöst worden. Allerdings droht am 15. Mai noch die „Kalte Sophie“.

Trithemius
Ach ja, die Eisheiligen. Haben wir die anderen schon hinter uns?

Frau Nettesheim

Mamertus war gestern. Man kennt ihn nicht überall in Deutschland. Heute haben wir Pankratius. Der jedoch hat wohl die Fliegende Hitze. Am Wochenende sind Servatius und Bonifatius für das Wetter verantwortlich …

Trithemius
In diesem Jahr als Bademeister.

Frau Nettesheim
Eigentlich kann man sich nur noch auf die Kalte Sophie verlassen. Alle anderen sind seit 1998 keine Eisheiligen mehr, sondern Speiseeisheiligen.

Trithemius
Ich habe mich irgendwie darauf eingestellt, dass wir bald nur noch zwei Jahreszeiten haben: Sommer und Winter. Dann muss unsere Literatur umgeschrieben werden.

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab ich vernommen!

Das Gedicht von Mörike zum Beispiel hat man gerade gelesen, schon ist der Frühling vertrocknet. Wissen Sie, dass im Hohen Venn die Rote Fahne gehisst ist, Frau Nettesheim?

Frau Nettesheim

Warum?

Trithemius
Waldbrandgefahr. Die Wesertaltsperre sieht aus, als wollte sie bald trocken fallen. Ich habe das zuerst auf Fotos von Bernhard gesehen, und dann war ich selbst dort und konnte mich per Augenschein überzeugen.

Frau Nettesheim
Vielleicht bringt ja die Kalte Sophie ein bisschen Wasser.

Trithemius

Und danach heißt es bis zum September: „Schönes Wetter“. Dann werde ich beim Wetterbericht wieder oftmals denken, die gut gelaunten Kachelmänner und Kachelfrauen haben ein Rad ab. „Schönes Wetter“, wenn die Natur dabei ist zu vertrocknen.

Frau Nettesheim
Na na, nicht so pessimistisch, Trithemius. Die Hitze steigt Ihnen zu Kopf.

Trithemius

Das hat auch etwas Gutes, Frau Nettesheim. Mir ist dann manches ziemlich schnurz und piepe, was mich bei gemäßigten Temperaturen noch in Harnisch bringt. Es ist so eine Sorte mediterrane Gleichgültigkeit. Immerhin etwas. Wenn schon das Wetter verrückt spielt, kann ich es auch sein ohne schlechtes Gewissen. Tagsüber faul im Schatten, Abends ab in den Westpark, Würstchen auf den Grill, Pulle Bier an den Hals …

Frau Nettesheim
Sie sind doch Vegetarier.

Trithemius

Mist, total vergessen. Vielleicht gewöhne ich mich einfach wieder an totes Getier. Und den anderen Irrsinn mache ich ebenfalls. Mitschwimmen im lauwarmen Strom der Ahnungslosen, ein herrliches Vergnügen. Die Eisheiligen sind schließlich auch abtrünnig geworden.

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