Nordwärts zwischen Pappelreihen (2)

Hättest mir ruhig glauben können, dass unser Weg über den Strategischen Bahndamm bald besser wird. Das ist natürlich aus menschlicher Sicht geurteilt oder aus Sicht deiner Füße, die ja für holprigen Pfad und Brombeerranken nicht gemacht sind. Was wohl die Brombeere daran findet, aller Welt den Weg mit Dornen zu verlegen. Das ist doch keine Art.

So mühsam der Weg gestern war, so leicht kommen wir heute voran. Ich werde dich diesmal nicht mit philosophischen Erwägungen quälen, die ja auch irgendwie Dornenranken und Fallgruben sind. Man findet kaum heraus aus Fragen höherer Ordnung, egal wie man sich müht. Irgendwann ist es praktischer, sich mit einer Interpretation der Welt zufrieden zu geben, denn man will ja vorankommen und sich nicht dauernd in Grundfragen des Daseins verheddern. Dort vorne lichtet sich das Dickicht ein wenig. Da führt eine Brücke über den Gillbach und wenig dahinter überquert eine weitere den Weg aus Rommerskirchen. Von hier aus ist unser Pfad zwischen den Pappeln deutlich zu ertasten. Jetzt kommen wir rascher voran.

Drüben ragt der Kirchturm von Nettesheim in den hochbewölkten Nachthimmel. Wir sehen ihn gleich noch etwas besser, wenn das Gehöft mit seinen mächtigen Kastanien unseren Ausblick nicht mehr verstellt. Es ist verständlich, dass die Bauern sich einst um einen Kirchturm geschart haben. Sie hatten wenig Zeit, sich den Weltenbau selbst zu erklären und ihre Werte allein zu bestimmen. Da ist der Anschluss an eine Religion ganz praktisch.

Vor Jahren bin ich gelegentlich in einem kleinen Ort bei Jülich gewesen. Da liegt mitten im Feld ein Gutshof. Er ist schon alt, der Besitz geht auf eine römische Schenkung zurück. Seit einigen Generationen sitzt auf dem Meerhof eine Familie Schmitz. Der Gutsherr hat drei Aktenordner mit archäologischen Forschungsergebnissen, seinen Gutshof betreffend. Er hat sie mir einmal an einem Samstagvormittag gezeigt. Die Quellenlage wird natürlich immer schlechter, je tiefer man in die Vergangenheit guckt. Gut dokumentiert sind die Stammbäume der Familien. Schmitz zeigte mir die genealogischen Tafeln. Da habe ich gesehen, dass sich die Familien der Gutshöfe übers ganze Land verbreiten. Sie heiraten untereinander, um den Besitz zusammenzuhalten und sich gegen Emporkömmlinge abzuschotten. Auf diese Weise bilden sie ein unsichtbares Netzwerk, sind irgendwo auf einem Dorf beheimatet, doch gehören nicht so recht dazu. Ihre eigentliche Heimat ist die gesamte Region, als deren Sachwalter und Wortführer sie sich verstehen.

Jedenfalls war der Gutsbesitzer Schmitz von einem Hof bei Jülich auch mit den Gutsbesitzern des Nettesheimer Lommertzhofes verwandt. Übrigens soll der Humanist und Universalist Agrippa angeblich in Nettesheim geboren sein. Aufgewachsen ist er vermutlich in Köln, denn sein Vater war Stadtpatrizier. Agrippa von Nettesheim war für kurze Zeit der Schüler des historischen Trithemius, wusstest du das? Beiden wurde nachgesagt, dass sie sich dunklen Mächten verschrieben hatten. Es ist ein Wunder, dass Agrippa nicht auf dem Scheiterhaufen endete. Wer zu seiner Zeit Wissenschaft betrieb, konnte sich rasch die Feindschaft der Kirche zuziehen. Agrippa kannte sich in vielen Wissenschaften aus, auch in den okkulten, die er jedoch in einem Buch als eitlen Unsinn entlarvte. Trotzdem hieß es, er sei stets von einem schwarzen Hund begleitet gewesen, der nach seinem Tod verschwand.

Der Glaube an magische Kräfte ist in allen Menschen, weshalb ja auch alle Völker eine Religion haben. Als Kind spürt man die Magie der Welt. Später regt sich der Verstand und beginnt zu fragen, kritisch zu bewerten und manches abzutun. Das mittelalterliche Schwanken zwischen nüchterner Betrachtung und magischer Weltsicht haben wir zum Glück hinter uns. Doch bahnt man sich zum Beispiel im Finstern den Weg über einen alten Bahndamm und da raschelt etwas im Gebüsch, dann gerät man leicht ins Zittern, denn der kritische Verstand ist nur ein dünner Mantel.

=> Wird fortgesetzt

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