Wäscherei Funk
Wie man sich denken kann, wurde die Wäscherei Funk von der Familie Funk betrieben. Die Tochter Monika Funk war in meiner Volksschulklasse. Sie hatte flammenrote Haare. Um die rothaarige Monika Funk geht es jedoch gar nicht. Sie hielt sich nämlich überhaupt fern von mir. Vermutlich hatten ihre Eltern gesagt, als Wäschereitochter wäre sie nur was für echte Prinzen, die ja die Mütter ihrer Kinder traditionell in Wäschereien aufstöbern würden. Viel weiß ich nicht mehr über die Wäscherei Funk, besonders nicht über ihre eigentliche Bestimmung. Die Wäscherei Funk war nämlich gleichzeitig eine Leihbücherei. Sie führte überwiegend Schundromane, Bücher mit bunten Bildern auf dem Cover, die man in der katholischen Borromäusbibliothek unseres Dorfes nicht bekommen konnte. Viele Bücher aus der Wäscherei Funk waren für den Markt der Leihbüchereien produziert wie die populären Wildwestreihen Tom Prox und Billy Jenkins von Gert Fritz Unger. Die Bücher standen in Regalen entlang der Wände im Ladenlokal. Man musste sie erfragen, dann wurden sie mit den in Packpapier eingeschlagenen Wäschepaketen über die breite Holztheke geschoben. Ein Buch bei Funks auszuleihen, kostete zehn Pfennig. Das war nicht wenig Anfang der 1960er Jahre. Trotzdem wurden die Bücher rege ausgeliehen, was an ihrem Zustand abzulesen war. Viele der Bücher hatten Eselsohren, denn es war üblich, die Seite, bei der das Lesen unterbrochen worden war, an der oberen oder unteren Ecke umzuknicken, was man bei Büchern aus der Wäscherei Funk unbedenklich tat. Man hatte keine Ehrfurcht vor den Büchern aus der Wäscherei Funk. Sie waren auf billigem Papier gedruckt und hatten ohnehin viele Lesespuren wie Risse, Kaffeeflecken und verschmierte Stellen zweifelhafter Herkunft. Es hat in den 50er und 60er Jahren viele private Leihbüchereien wie die Wäscherei Funk gegeben. Sie waren nicht gut angesehen, denn sie verbreiteten überwiegend literarischen Schmutz und Schund und verschwanden rasch, als das Fernsehen diese Aufgabe flächendeckend übernehmen konnte. Vielleicht schaue ich deshalb so gerne Waschmaschinen-TV.
Bäcker Schierpans
Der Bäcker Schierpans war ein gemütlicher Mann, der samstags mit seinem Lieferwagen rumfuhr und den Leuten das Brot brachte. Weil er lieferte, war ich selten in seinem Bäckerladen. Es war aber auch schon ziemlich weit dahin zu laufen für Kinderbeinchen. Ich erinnere mich an einen Heiligabend nach der Bescherung, dass ich glücklich am Boden lag und mit neuen Bauklötzen spielte, als Bäcker Schierpans eintrat und einen Weihnachtskranz brachte. Zwei Wochen vorher war mein Vater ganz plötzlich gestorben, und es war irgendwie tröstlich, als Herr Schierpans in unsere Wohnung kam. Hinter der Bäckerei hatte Herr Schierpans eine Scheune, worin er die Mehlsäcke lagerte. Man erzählte, in dieser Scheune würden die dreisten Mäuse in Scharen übers Gebälk laufen. Als ich Jugendlicher war, hatte Herrn Schierpans einen neuen Gesellen. Er verkehrte in meiner Stammkneipe und kommt vor im zweiten Teil: „Die Lokale meiner Jugend.“
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