Die Botschaft der Glasmurmel – nachalphabetisches Denken

Liebe Kunden, in den Kommentaren zu den fünf Sternschnuppen ist die Frage aufgetaucht, ob die analytische Betrachtung der Dinge die einzig richtige und gute Betrachtung ist. Der nachfolgende Text stammt aus dem Lager des Twoday-Teppichhauses. Ich würde gern Ihre Meinung lesen zu der dort aufgestellten These über nachalphabetisches Denken.

Schaue ich beim Aufwachen gegen die hohe Decke, dann scheint dort eine farblose Glasmurmel zu lagern, der Schwerkraft zum Trotz. Ich habe keine Sorge, dass sie sich plötzlich der Physik besinnen und mir auf die Nase fallen könnte, denn ich weiß, – diese gläserne Murmel ist eigentlich eine kleine runde Mulde. Der Tag ist vorangeschritten, der Abend naht, und das Licht des Fensters gen Westen wirft einen Schatten in die Mulde. Es kostet nur geringe Mühe, das Wissen um die Mulde zu verdrängen und stattdessen eine Glasmurmel zu sehen. Ich will das magische Bild, nicht die vermeintliche Einsicht in die wahre Gestalt der Dinge. Diese Einsicht ist nämlich ein bisschen auf den Hund gekommen. Zu oft hat sie sich als trügerisch erwiesen, wenn die Wissenschaft ihre eigene Lehrmeinung korrigieren musste. Was ist besser, eine Glasmurmel an der Decke zu sehen oder zu wissen, dass es nur eine kleine runde Deckenmulde ist, die den Anschein erweckt, eine Glasmurmel zu sein?

Der Medienphilosoph Vilém Flusser nimmt an, der Mensch müsse das alphabetische, lineare Denken aufgeben, wenn er sich im digitalen Zeitalter behaupten will. Will man diese theoretische Forderung begreifen und in Probehandeln umsetzen, führt jeder Schritt in die nur unscharf berechenbare Randzone. Was bedeutet es, nichtalphabetisch zu denken? Es hieße zu akzeptieren, dass an meiner Zimmerdecke eine Glasmurmel lagert.

Man wird sogleich verstehen, dass nichtalphabetisches Denken dem magischen Denken ähnelt. Nichtalphabetisches Denken ist bildhaft. Doch dieses bildhafte Denken entspricht nicht völlig dem magischen Denken des voralphabetischen Menschen. Denn der voralphabetische Mensch hat das lineare Denken noch nicht entdeckt. Logik, Aufklärung und Wissenschaft liegen noch jenseits seines Horizonts. Der alphabetisierte Mensch jedoch kennt beides und kann zwischen zwei Möglichkeiten der Wirklichkeitserfassung wählen. Ein neues Denken, wie Vilém Flusser es fordert, das ergibt sich, wenn man die bildhaft magische und die alphabetisch abstrakte Wirklichkeitserfassung kundig vereint.

Was bedeutet es, wenn sich an meiner Zimmerdecke eine Mulde befindet, die gleichzeitig eine Glasmurmel ist? Es zeigt sich hier, dass der Mensch fähig ist, beides zu sehen und beides zu denken. Neben der forschenden und kategorisierenden Aneignung der Welt bietet sich eine neue Symbiose an: die laterale, pataphysikalische Wirklichkeitsauffassung, die sowohl körperlich-magisch wie auch geistig-logisch ist.

Es scheint, dass es selbstgemachte Härten im menschlichen Dasein gibt, die aus der einseitigen Betrachtung der Dinge folgen. Ist der Mensch allein dem magischen Denken verhaftet, geht er geduckt unter der Bedrohung durch das Unwägbare. Vertraut er nur dem logischen Denken, verliert er die Bodenhaftung und es mangelt ihm an Gefühl, Empathie und Inspiration. Im Internet findet nachalphabetisches Denken bereits statt, dort wo man in digitalen Bildwelten versinken kann. Die Entwicklung dahin ist also nicht zu verhindern. Wie sich nachalphabetisches Denken positiv auswirken und zu einer tatsächlichen neuen Qualität des Denkens und Handelns werden kann, zeichnet sich noch nicht recht ab. Man bewegt sich wie gesagt in den nur unscharf berechenbaren Randzonen.

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