Abendbummel online – Die Limmer bei Tag, Bart hintendran

Diesmal gehen wir etwas früher zur Limmerstraße, damit wir sie bei Tag erleben, wenn die unzähligen kleinen Läden geöffnet haben und vor den Modelädchen die Kleiderständer noch im Weg stehen. Mein Türnachbar sagt auch, er wäre in den fünf Jahren, in denen er in Linden lebt, erst sechsmal in der Innenstadt gewesen, weil man ja alles auf der Limmerstraße kaufen könne.

Die Radfahrer kurven und queren hier ziemlich geschickt, aber letztens ist eine Frau mit dem Vorderrad in eine Straßenbahnschiene geraten und schwer gestürzt. Da waren sogleich drei Leute, die sich um sie kümmerten, und zehn andere hatten das Handy am Ohr und riefen den Unfallwagen. Die Szene ist bezeichnend für die Stimmung auf der Limmerstraße. Viele kennen sich, aber man tut auch großstädtisch anonym. Trotzdem empfindet man sich als Gemeinschaft, und wenn man sich sonst nichts zu sagen hat, kann hier jeder Respekt oder Anteilnahme erwarten. Am besten gefällt mir die Gelassenheit, mit der alles geschieht. Ich frage mich übrigens schon lange, wie die Gemüsehändler die Sachen frisch halten, die sie am Abend von den Ständen hier auf dem Bürgersteig nach hinten bringen. In den Kühlschrank passt das Zeug wahrscheinlich nicht, sieht aber jeden Tag frisch aus. Haben die ein Zimmer ihrer gewiss nicht großen Wohnung zur Kühlkammer gemacht?

Kürzlich interviewte ich einen jungen Mann, der an der Gemüseschlacht zwischen Linden und Nordstadt teilgenommen hat. Die Schlacht findet alljährlich im September auf der Dornröschenbrücke statt. Diesmal soll nicht nur vergammeltes Gemüse, sondern auch Fisch geworfen worden sein. Linden hat jedenfalls in diesem Jahr verloren. Der Grund? „Die hatten einfach viel mehr Leute als wir, weil die ganzen Punks aus Linden weggezogen sind.“

Die Punks haben früher immer vor dem Edekamarkt gesessen, wo sie eine Cochgarnitur mit Stühlen hatten, worauf sie selbst im Regen saßen, und einer versuchte, „I’m Singing In The Rain“ zu singen. Der Markt aber wird renoviert. Trotzdem gibt es natürlich noch Punks auf der Limmer. Da kommt ein Punk aus einer Seitenstraße, in der Hand einen großen Yoghurtbecher und an der Leine hat er einen Schäferhund. Der Hund humpelt stark, denn ihm fehlt komplett das linke Vorderbein. Punker würden das nicht gerne hören, aber der Punker, sein humpelnder, gut gelaunter Hund, und mit welcher Achtsamkeit der Punker den ungeöffneten Yoghurtbecher in seinen Hamsterkarren stellt; das ist ein wirklich anrührendes Bild.

Mist, ich habe gestern versprochen von dem wirklich langen Bart zu erzählen. Den muss ich jetzt einfach hinten anhängen an diesen Bummel, dich also vom launigen Treiben auf der Limmer ablenken. Zudem habe ich total vergessen, woher ich den Mann kannte, der einen wirklich langen Bart hatte. Er hätte sich den in den Gürtel stecken können. Der lange Bart war gewiss noch lästiger, als würde man sich jeden Tag rasieren wie ich. Wieso kann sich mein Bart eigentlich nicht merken, dass er unerwünscht ist? Schiebt unverdrossen jeden Tag nach draußen, und ich muss teure Rasierklingen kaufen, um ihn mit dem Barthobel wegzuschaben. Das ist doch ein Fehler in der Evolution, findest du nicht?

Ich habe in Aachen mal einen jungen Mann gesehen, der hatte einen mächtigen gezwirbelten Schnauzbart. Wenn man einen Schnauzbart jahrelang wachsen lässt und immer schön zwirbelt, nachdem man ihn durch den Buttertopf gezogen hat, kann man ihn so stolz vor sich hertragen wie dieser Passant auf dem Müsterplatz. Er ging stark nach vorn gebeugt, als hätte der Schnauzbart ein ordentliches Gewicht. Vielleicht hatte der Schnauzbart dem Mann befohlen, er solle ihn ein bisschen durch die Stadt tragen, und um den Mann zu ärgern, hat sich der undankbare Schnauzbart extra schwer gemacht. Aber es geht ja um den anderen Mann, der seinen Bart in den Gürtel stecken konnte. Auch er war noch recht jung und arbeitete in einem Jugendzentrum. Er sagte, wenn Jugendliche zum ersten Mal ins Jugendzentrum kommen, sind die meistens ein bisschen befangen. Dann sehen sie den Bart, und schon ist das Eis gebrochen. Der Bart gibt ihnen einen Gesprächsanlass. „Eye, Alter! Das ist aber ein wirklich langer Bart. Seit wann lässt du den wachsen?“ Und er sagt vielleicht so: „Den habe ich mir zu Weihnachten gewünscht. Da musste meine Mutter lange dran häkeln.“ (Falls der Bart ihm den Witz nicht verbietet.)

Guten Abend

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