Vom Jung sein zum Alt sein ist’s nur ein Katzensprung

Franz, Karl-Heinz, Theo und ich saßen bei Franz zu Hause im Wohnzimmer über dem Jugendherbergsverzeichnis, einer Deutschlandkarte und einem Notizblock und planten unsere Radtour aus dem Rheinland bei Köln zum Bodensee. Leider konnte Franzens Vater uns nicht in Ruhe lassen und berichtete zum xten Mal von der Radtour, die er mit einem gewissen Jupp unternommen hatte, und in der er der Held war, denn Jupp wurde vom Heimweh überwältigt und fing bereits an der nahen Bahnschranke zu heulen an, war nicht mehr zu trösten gewesen, so dass die großartigste Radtour des Jahrzehnts schon nach fünf Kilometern enden musste. „Ach, langweile uns doch nicht mit Berichten aus deiner Jugend, alter Mann“, dachte ich, „jetzt sind wir jung und planen unseren Aufbruch in die Welt.“ Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen, aber dieses Gestern umfasst doch ein halbes Jahrhundert und ist nur geschrumpft, damits noch in meinen Kopf passt.

Heute würde ich gerne Abbitte leisten, aber Franzens Vater ist gewiss nicht mehr. Heute weiß ich wie lustvoll ist es, eigene Jugenderinnerungen abzurollen, wenn man alt ist. Und selbst wenn man spürt, dass junge Menschen derlei Erzählungen nicht hören wollen, man will sie dem unwilligen Auditorium zum Trotz doch noch loswerden, denn Erzählen ist nicht nur das Entfalten einer geschrumpften und eingetrockneten Erinnerung, sondern ein wenig ist es auch Wiedererleben, als würde die geschrumpelte Erinnerung von neuem Lebenssaft getränkt wieder geschmeidig und ließe sich abrollen zum Lebensstrang und gleichsam rieseln Glückshormone durch die Adern und man möchte glauben, die Zeit wäre zurückzudrehen.

Noch mal zum Anfang: Vom Jungsein zum Altsein ist’s nur ein Katzensprung, was aber nur erkennt, wer den Hupfer schon gemacht hat. Dass aber die Erfahrungen der Alten in unserer Welt nichts gelten, ist ein Effekt der Schrift. In schriftlosen Kulturen sind die Alten die Bibliothek, was deutlich wird im oft zitierten Bonmot des malischen Autors Amadou Hampaté Bâ: „Mit jedem Greis, der in Afrika stirbt, verbrennt eine ganze Bibliothek.“

Schriftgebrauch geht einher mit der Abwertung der Alten. Sie werden jetzt nicht mehr als kollektives Gedächtnis gebraucht. Schriftliche Aufzeichnungen bieten ein vergleichendes System, das den Schwächen der menschlichen Erinnerung nicht zu unterliegen scheint. Zwar warnt schon Platon, dass die Schrift nur „Scheinweise“ hervorbringe, aber das ist egal in einer Zeit, die Scheinweisheit nicht hinterfragt.

Als der isländische Skalde Egil in hohem Alter mit einem Freund auf dem Markt war, sagte er: „Minder verhöhnten uns die Weiber, als wir noch jung waren.“

Ich finde tröstlich, dass die jungen Weiber, die damals über Egil lachten, inzwischen ebenfalls längst verröchelt sind. Vor der Zeit sind alle gleich. Wenn es mich überkommt, mit meinem Lebensalter zu hadern, sage ich mir, dass ich in keinem Augenblick so jung bin wie in diesem. Um ihn mies zu machen, ist der Augenblick zu kostbar.

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