Jüngling der Schwarzen Kunst (6) – Leergut muss zurück

Prolog Teil zweiTeil dreiTeil vierTeil fünf

Dyckers hält dem Jüngling die geleerte Limonadenflasche hin.
„Also mach schon, Nettesheim!“
„Ich trau mich nicht!“
„Du hast es einmal gemacht, dann kannste es auch zweimal tun!“
„Komm jetzt her, Jüngling, ich werde gleich ärgerlich!“ sagt Kaumanns und steht schon bei den Bodoni-Setzkästen am Ende der Gasse, die wie Treppenstufen herausgezogen sind.
Es ist wieder so ein glutheißer Arbeitstag. Es riecht unangenehm nach altem Holz, bleihaltigem Staub und Schweiß. Nein, eigentlich weiß man nicht genau, woraus sich der leicht säuerliche Geruch zusammensetzt. Manchmal meinte der Jüngling, eine der Geruchsquellen gefunden zu haben, beugte sich nieder, vergewisserte sich schnüffelnd und stellte erstaunt fest, dass es gar nicht roch. Im Glashaus flirrt die Luft und heizt den ganzen Setzereisaal auf. Völlig wirkungslos drehte der Ventilator sein Kleeblatt, während die Uhr daneben stillzustehen scheint. Die Hitze hat in ihren Hirnen scheinbar Blasen geschlagen, denn Dyckers und Kaumanns waren auf die Idee gekommen, Nettesheim solle ihnen vom Balkon der Restaurantbesitzerin eine Limonade stehlen. Sie hatten ihn mit bösartiger Energie dazu gedrängt und sogar geschlagen, bis er nachgab, über die Setzkästen hochkletterte und sich aus dem Fensterchen wand. Auf dem Balkon war er blitzschnell gewesen, hatte kaum die abblätternde grüne Leimfarbe wahrgenommen, die dem Balkon einen Anflug von Feuchte und Kühle gab, hatte in den Kasten gegriffen, eine Flasche herausgezogen und war wieder in die Fensterluke eingetaucht, zurück in die Gluthitze ihres Treibhauses. Er hatte eine Orangenlimonade erwischt, der Firma BRONNI. Und Dyckers hatte gemeckert, er wolle eigentlich lieber Zitronenlimonade.

Eben ist der Jüngling wie besinnungslos gewesen, doch jetzt sieht er das Ungeheuerliche dessen, was sie ihm angehängt haben.
„Du verstehst doch, dass es auffällt, wenn eine Flasche fehlt!“
sagt Dyckers.
„Und glaubst du vielleicht, die Alte wird uns verdächtigen?“
„Guck dir Herrn Dyckers an! Passt der vielleicht durch das Fenster?“
Nettesheim wagt einen abschätzigen Blick auf Dyckers Leibesfülle. Sie haben Recht. Er selbst hatte sich kaum durch den Rahmen zwängen können. Niemandem außer ihm wäre das möglich. Wie schlau sie sind. Besonders Dyckers ist so furchtbar gerissen. Ja, er hat auch die mittlere Reife und ist hier fast allen überlegen. Beinahe alles, was Kaumanns sagt und tut, hat Dyckers ihm eingegeben.
Mit zitternden Knien steigt Nettesheim wieder auf die Bodonikästen. Kaumanns reicht ihm das Leergut. Der Balkon liegt leer und verlassen, aber was weiß Nettesheim, wer hinter den Gardinen der vielen Fenster ringsum nach draußen lauert? Er streckt den Arm durchs Fenster und stellt die Flasche von außen an der Setzereiwand ab. Nur nicht mit Diebesgut in der Hand erwischt werden! Jetzt kommt das Schlimmste, denn sobald sein Oberkörper im Fensterrahmen steckt, ist er so gut wie hilflos. Er windet sich rücklings hinaus, bis er, auf dem Fensterrahmen sitzend, von außen auf das Glasdach langen und sich hochziehen kann. Dann zieht er die Beine nach, stellt die Füße auf den Rahmen und springt aus der Hocke ab. Dabei streift er die Flasche, so dass sie klirrend umfällt und leise ausklingend einen Halbkreis beschreibt. Er duckt sich angstvoll, nimmt die Flasche und bewegt sich auf seinen Hacken zum Kastenstapel. Kurz davor strauchelt er und hat seine liebe Mühe mit sich selbst, weil einer seiner Kittelschöße unter seinen Fuß geraten ist. Der Kittel zieht sich stramm und kracht in allen Nähten. Auch das noch. Er lässt die Flasche vorsichtig in den Kasten gleiten und glaubt sich fast außer Gefahr, als ihn ein entsetzliches Scheppern herumfahren lässt. Der Ventilatordeckel, der eben noch offen gestanden hatte, wippt albern auf und ab, und mit jedem Niedergehen schlagen die Ventilatorflügel gefährlich ratternd in das Deckelblech, kommen, indem es sich schließt, fast zum Stillstand, um sich sogleich wieder loszukämpfen und erneut durch die Blechdose zu ratschen. Es ist wie ein alptraumartiges Weckerrasseln, das den Hinterhof aus seiner Verschlafenheit reißen und seine Augentore öffnen soll.
Dann ruft einer zum Fenster hinaus:
„He, Jüngling, was machst du da draußen auf dem Balkon!? Kommst du wohl wieder rein!!“
Der Jüngling gerät in Panik und quetscht sich derart kopflos durch den eisernen Fensterrahmen, dass er sich einen langen Striemen über sein mageres Brustbein schürft.
Wieder auf dem Boden des Glashauses, steht er am ganzen Körper zitternd da und starrt sie fassungslos an. Wer von den beiden vergnügten Gesellen gerufen und wer die Schnur der Ventilatorklappe betätigt hat, ist nicht mehr auszumachen, denn beide stehen sie an ihren Setzkästen, mit den Winkelhaken in der Hand, und pfeifen sich eins. Nettesheim rennt aus der Gasse und weint.

Gibt es Bleiläuse?
Der Friseur ist Up to date, weiß es aber nicht;
Die Ahle ist das nutzloseste Werkzeug von allen;
Die Pinzette ist auch nicht viel besser

„Heute zeigt Herr Kaumanns dir Bleiläuse“, kündigte Dyckers an.
„Bleiläuse?“
„Ja, ist dir noch nie aufgefallen, wieviel Dreck in den Setzkästen liegt? Der kommt von den Bleiläusen.“
Sie gingen hinüber in Kaumans Gasse.
Auf einem Setzschiff war in der linken Ecke mit Eisenstegen aus der Druckerei ein Karree gebildet, in das Kaumanns Wasser gegossen hatte. Obendrauf schwamm etwas Staub aus den Kästen.
Kaumanns stand in Betrachtung davor.
„Die Dinger sind ganz klein“, sagte er.
Dyckers schob den Jüngling voran.
„Ja, du musst nah rangehen, wenn du sie überhaupt sehen willst!“
Nettesheim beugte sich neugierig hinunter, sah aber nur Wasser und Staub.
„Hier schwimmt eine“, sagte Kaumanns und wies mit der Pinzette darauf. „Man muss schräg von der Seite her aufs Wasser gucken!“
Der Jüngling brachte seine Nase nah an die Wasseroberfläche und schaute angestrengt. Gerade als er glaubte, da bewege sich etwas, packte Kaumanns den oberen Verschlusssteg und stieß ihn mit einer raschen Bewegung nach unten, wodurch das Wasser heraus und dem Jüngling ins Gesicht schwappte.
„Das waren die Bleiläuse“, sagte Dyckers, und die beiden lachten sich schippelig.
Der Jüngling spuckte.
„Bah, was seid ihr gemein!“
„Was fällt dir ein, uns zu ihrzen!“
„Für dich immer noch `Sie‘, `Herr Kaumanns‘ und `Herr Dyckers‘!“
„Wenn einer wie du aus Nettesheim kommt, muss er froh sein, dass man sich überhaupt mit ihm abgibt.“
Der Junior bog um die Ecke, fragte barsch: „Was zum Teufel ist denn hier los?“ und sprach damit den längsten Satz aus, den der Jüngling bislang von ihm gehört hatte, wodurch die Frage umso bedrohlicher wirkte.
Keiner antwortete. Kaumanns versank mit der Nase in einem Setzkasten, und Dyckers schob sich geschickt hinter dem Rücken des Juniors aus der Gasse. Der Junior besah kurz den Jüngling, dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz um und ging. Das war ja noch einmal gut gegangen!
Der Jüngling wischte sich aufatmend mit dem Kittelärmel das Gesicht und strich sich mit den Fingern die nasse Haarfrisur zurecht. Die hatte wohl früher bei seinem Dorffriseur „Caesarschnitt“ geheißen. Doch dann hatte man den Jüngling anderswo belehrt, „von wegen, Caesarfrisur! Dein Friseur hat keine Ahnung!“ nein, das sei ganz klar eine Beatlesfrisur, die er da auf seinem Kopf habe. Über Nacht war sie also sozusagen mutiert, zuerst gegen seinen Willen, doch dann fügte er sich.
Wirklich bedauerlich fand Nettesheim dagegen, dass sich in den elenden Bleiwüsten der Schriftkästen nun also doch kein Leben regen sollte.

In der Setzerei wurde DER MITTAG viel gelesen. Nettesheim verfolgte darin begierig mitleidend die Lebensbeichte eines Alkoholikers. Ein ehedem erfolgreicher Manager schilderte in masochistischer Selbstentblößung seinen gesundheitlichen und sozialen Niedergang. Jeden Tag stößt ihn der schreckliche König Alkohol eine Stufe tiefer hinab.
„Ein Tatsachenbericht! Wird fortgesetzt. Morgen im MITTAG!“
Kann verdammt gut schreiben, der Mann, findet tief bewegende Worte, obwohl er sich schon das Gehirn weggesoffen hat.
Dann waren da noch die Pin-Up-Fotos. Irgendeiner aus dem Betrieb stach heimlich mit der Ahle Löcher hinein, ganz viele, an den verräterischen Stellen. Wer das wohl macht? fragte sich Nettesheim.
Die Ahle ist zu nichts richtig gut, zu vielem aber schlecht. Man kann mit ihr übel herumschustern, was nicht verwundert, denn eigentlich ist sie sowieso ein Schusterwerkzeug. An vielen Stellen der Setzerei findet man Ich-war-hier-Marken, mit der Ahle in die Holzteile geritzt. Sie fliegt auch gut und wird von manchen Setzern geschickt geworfen, zum Beispiel bei Zielübungen auf die schrägen Holztische, die auf zwei Rädern über den metallbeschlagenen Setztischen hin und hergefahren werden können und auf denen normalerweise die gerade benötigten Setzkästen aufgestellt werden. Spuren finden sich auch im Ausschlussmaterial. Wenn nämlich in einer druckfertig geschlossenen Form noch ein Spatium, Geviert oder Quadrat ausgetauscht werden muss, so erleichtern sich die ungeschickten Drucker und auch faule Setzer das kniffelige Geschäft des Herausziehens, indem sie von oben mit der Ahle hineinstechen. Derart übel behandeltes Material ist bald kaum noch zu gebrauchen, denn am Einstich wulstet sich das Metall, wodurch die gleichmäßige Form verloren geht. Es gibt noch einen übleren Ahlentrick: Die Satzformen werden zum Drucken in eiserne Rahmen geschlossen. Durch mehrere Schließelemente wird der Satz dabei fest zusammengepresst. Es kommt gelegentlich vor, dass in einer solchen Form eine Zeile locker ist. Entweder hat der Setzer nicht sorgfältig ausgeschlossen, oder es wurde nachträglich etwas ausgetauscht, so dass Buchstaben, Linien oder Ausschlussmaterial ein wenig Spiel haben. Diese Teile „spießen“ beim Drucken. Das heißt, durch den Zug der Farbwalzen rutschen sie nach oben, brechen ab und verunstalten das Druckbild. Deshalb prüft der Drucker nach dem Schließen der Form, ob auch alle Teile festsitzen. Spießt ein Teil, ruft er den Setzer, der den Schaden beheben soll. Wem das zu lange dauert, der sticht einfach mit der Ahle in die Umgebung des Spießes. Die dadurch entstehenden Metallgrate geben dem spießenden Teil neuen Halt.
Auch die Setzkästen tragen in den breiten Holzstegen Einstichspuren. Wo nämlich ein Manuskripthalter, das Tenakel, fehlt, spießt der Setzer sein Manuskript mit der Ahle auf den Setzkasten, meist links in der Mitte, dort wo die in Deutschland selten benutzten Akzentbuchstaben liegen. (Wann etwa muss der Setzer z.B. nach dem Akzent Dächelchen greifen? So gut wie nie.)
Sehr übel ist es auch, wenn mit der Ahle in den Steckkästen umgefallene Lettern aufgerichtet werden. Fast immer wird dabei das Schriftbild beschädigt.
Ihr eigentlicher Zweck ist die Hilfe beim Ausbinden eines fertigen Satzes, doch dafür nehmen die meisten Setzer die Pinzette. Bleibt noch das Pieksen von Lehrlingen, was aber nicht oft genug gemacht wird.

Wann immer Nettesheim an den Steckkästen arbeitet, hat er ein Holzstäbchen zur Hand, das wie ein Bleistift gespitzt ist. Nur damit lassen sich die umgefallenen Lettern wieder aufstellen, ohne dass ihr Schriftbild beschädigt wird. Trotzdem tragen viele Buchstaben tiefe Kerben. Sie stammen von den Pinzetten. Manch ein Setzer bedient sich zum Setzen aus dem Steckkasten nämlich der Pinzette. Wenn aber ein Buchstabe zu fest in seiner Reihe steckt und der Setzer ihn mit der Pinzette nicht richtig gepackt hat, rutscht sie ab und ratscht von oben und unten über das Gesicht der Letter. Besonders die größeren Schriftgrade über 28 Punkt erleiden dieses Schicksal häufig. Da die Anzahl der Lettern bei ihnen gering ist, kann man beim Setzen nicht immer auf einen derart beschädigten Buchstaben verzichten. So tauchen bestimmte Lettern mit einem Schmiss im Gesicht wie Individuen immer wieder in den Druckwerken auf, namentlich in den Plakaten. Da buhlen sie um Aufmerksamkeit und untergraben das Prinzip der Druckschrift. Denn wer zum Beispiel ein A liest, dem vermittelt sich dabei doch nur die Idee, die von diesem Buchstaben repräsentiert wird. Das A mit dem Schmiss aber lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die spezielle materielle Erscheinungsform des Buchstabens, plötzlich unterscheidet sich das A des einen Wortes individuell von allen anderen; es steht für sich selbst und bringt damit eine irritierende Bedeutungsebene ins Spiel. Das A mit dem zerstörten Gesicht ist ein hässlicher Urenkel der ikonisch-bildhaften Letter des Mittelalters.

Eine seit Gutenberg geübte Praxis ist das Ausbinden einer Satzform. Ein fertiger Satz besteht ja aus vielen Einzelteilen, aus den druckenden Teilen wie Lettern, Klischees und Linien und den zahlreichen nicht druckenden, den Spatien, Regletten und Stegen. Trotzdem muss er transportiert und sicher gelagert werden können.
In jeder Gasse steht eine Schachtel mit roten Schnüren. Sie bestehen aus einem feinmaschigen schlauchförmigen Gewebe. Auf gewöhnliche Weise können sie nicht zerrissen werden (aber manche Setzer kennen einen Trick, bei dem die Schnur zum Zerreißen in kunstvollen Schlaufen um die Finger der linken Hand gelegt werden muss). An ihren Enden haben die Schnüre je einen Knoten. Der Setzer nimmt ein Ende, legt es an der einzigen freiliegenden Kante der Satzform an und führt die Schnur stramm herum, wobei er hinter jeder Ecke Zug ausübt. Am Ausgangspunkt überkreuzt er die Schnur, so dass der Anfang Halt bekommt. Jetzt werden die weiteren Wicklungen in sauberen Lagen angelegt. Es gehört Augenmaß dazu, eine passend lange Schnur zu wählen, so dass ausreichend viele Wicklungen möglich sind. Ihre Anzahl richtet sich nach der Größe und Schwere der Form. Direkt hinter dem Ausgangspunkt endet man. Hier wird das freie Ende mit Ahle oder Pinzette als Schlaufe unter die Wicklungen geschoben. Ein gut ausgebundener Satz kann gehoben und getragen werden. Dazu muss der Setzer die Form mit beiden Händen fest umspannen und schnell in die Senkrechte kippen. Größere Formen werden auf dem Setzschiff transportiert.
„Ausbinden und Abziehen!“ ist ein Befehl aus Nettesheims Anfangszeit. Der Jüngling verstand nicht, wie die Setzer sich den Augenblick des ersten Abzugs entgehen lassen konnten. Für ihn war das der Höhepunkt seiner Arbeit.
Man sieht die Schrift spiegelverkehrt. Damit die Leserichtung trotzdem von links nach rechts verläuft, werden die Lettern über Kopf in den Winkelhaken gestellt. Dies ist ein Grund, warum man beim Setzen nur eine unzureichende Vorstellung vom Aussehen einer Arbeit hat. Zudem ist die Kontrastwirkung zwischen druckenden und nicht druckenden Teilen gering. Erfahrene Setzer ahnen zwar, wie der Abzug aussehen wird. Sie wissen, wie Satzbreite, Schriftgrößen, Schriftschnitte und Abstände ins Verhältnis gebracht werden müssen. Trotzdem ist der erste Abzug immer wieder eine Überraschung. Erst aus dem satten Kontrast zwischen Druckerschwärze und dem weißen Papier entfaltet sich die Wirkung. Was im Winkelhaken und auf dem Setzschiff noch gut ausgesehen haben mag, entpuppt sich hier oft als verbesserungswürdig und umgekehrt. Deshalb ist es kaum möglich, erst während des Setzens die gute Form zu finden. Eine Vorlage oder Entwurfsskizze ist unerlässlich.
Nettesheim zieht gerne ab. Er schiebt die Form vom Setzschiff in die Abzugspresse. Er löst die drei magnetischen Stege vom Metalltisch und justiert damit den Satz etwa in der Mitte.
In einer Schublade liegt eine kleine Handwalze, daneben ein Blech, worauf Druckerschwärze verrieben ist. Nettesheim rollt die Gummiwalze darüber, bis ihr sanftes, gleichmäßiges Zischen anzeigt, dass die Farbe auf der Walze einen satten Film gebildet hat. Die Schrift darf nicht zu dick eingeschwärzt werden, denn das Schriftbild soll klar und scharf auf dem Papier stehen. Die alte Abzugsnudel hat keine Papierzuführung. Nettesheim nimmt einen Bogen Makulatur aus der Schublade und legt ihn vorsichtig auf den Satz. Der feierliche Moment ist gekommen. Er zieht die Presswalze einmal über die Form und zurück. Dann löst er den Abdruck, betrachtet ihn und heftet ihn mit einer Büroklammer ans Manuskript. Aus dem Spender einer Messingflasche kippt er etwas Benzin auf einen Lumpen und wischt die Druckerschwärze von den Lettern. Den Satz schiebt er vorläufig auf ein Abstellbrett, den Korrekturabzug trägt er in die Korrektorenstube.


Eine Kerze bringt Erlösung;

„Guck mal, wie der Jüngling horcht!“ sagt Kaumanns und lacht glucksend.
„Jüngling, hör mal eben weg!“
„Geh mal aufs Klo, Nettesheim!“
Sie besprechen fast täglich in allen Einzelheiten, wie sie mit ihren beiden Verlobten gevögelt haben. Sie haben noch andere Bezeichnungen dafür. „Fegen“, „Nageln“, „Poppen“, o, was für Wörter! Kaumanns berichtet von Jolandas Gewohnheiten beim Geschlechtsverkehr, und Dyckers lobt die sexuelle Regsamkeit seiner Gabriele. Sie wetteifern, wessen Frau geiler sei. Sie tauschen Tipps und Erfahrungen aus, wie die Lust noch zu steigern sei. Ihre „Frauen“ freundinnen sich an, man ist gemeinsam unterwegs, nächtigt in derselben Pension, es kommt bei den Männern der Wunsch nach einem Partnertausch auf. Die Frauen seien auch nicht abgeneigt. Dyckers erzählt, Kaumanns habe ja gar nicht mitbekommen, dass er, Dyckers, einmal mit beiden Frauen allein im Hotelzimmer gewesen sei und sich dann vor ihren Augen fürs Baden umziehen musste. Weil die keine Anstalten machten, den Raum zu verlassen, habe er einfach die Unterhose heruntergelassen. Sie hätten gelacht und ironisch erklärt, das sei ihnen aber jetzt peinlich. Warum er denn nichts gesagt habe? Auf ein Wort von ihm wären sie so lange vor die Tür gegangen. Aber Jolanda habe doch interessiert auf seinen Schwanz geguckt, so dass er gleich einen Ständer bekommen habe. Ja, ein gemixtes Doppel, das müsse man doch einmal ausprobieren. Am übernächsten Wochenende vielleicht?
Aber plötzlich eint sie auch ein gemeinsames Problem. Die Regel bei beiden Frauen bleibt aus. Was muss man tun?
Heiß baden soll helfen, vorher heißen Rotwein trinken!
Nein, schon ausprobiert, hat nichts genutzt.
Fünf Tage schon.
Bei Jolanda sieben!
Geraunte Rezepte.
Busfahren?
Ja, die Linie 23, immer am Hafenbecken entlang, über Kopfsteinpflaster, bis zur Endstation und zurück!
Glaubst du wirklich, das hilft?
Kaumanns und Jolanda waren sogar in der Kirche und haben am Altar der Mutter Maria eine Kerze aufgestellt. Jolanda ist eine fromme Belgierin. Dyckers erwägt das auch zu tun, obwohl er eigentlich nie in die Kirche geht.

Die Kerze hilft, aber Dyckers „muss“ heiraten! Jetzt braucht er mehr Geld. Er muss sich nach einer besseren Stelle umsehen. In einer Druckerei in Düsseldorf sei ihm die Setzereileitung angeboten worden. Dyckers kündigt!
„Dann hau ich auch in den Sack!“ sagt Kaumanns. Und plötzlich sind beide weg, zum Leidwesen des Juniors, der keine neuen Leute finden kann.

Wird fortgesetzt

Dieser Beitrag wurde unter Jüngling Schwarze Kunst abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Kommentare zu Jüngling der Schwarzen Kunst (6) – Leergut muss zurück

  1. Pingback: Jüngling der Schwarzen Kunst (1) – Prolog

Schreibe einen Kommentar zu trithemius Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.