Zehn Jahre Teppichhaus und ein neues Projekt

Glatte zehn Jahre gibt es jetzt das Teppichhaus Trithemius. Anfang November 2005 entdeckte ich für mich das Bloggen. Es gibt viele Gründe, ein Blog zu beginnen. Bei mir war es heftiger Kummer, der mich einen Ausgleich suchen ließ. Mein erstes Blog hieß „Wolfsburg-Notizen“. Obwohl ich meinen Kummer allnächtlich ins virtuelle Off geheult habe, hat der Name eine andere Bewandtnis.

Vor Jahren bin ich einmal in Wolfsburg gewesen und habe das VW-Werk besichtigt. Bekanntlich ist das VW-Werk von den Nationalsozialisten gegründet worden. Der Name der Retorten-Stadt Wolfsburg erinnert noch daran. Vermutlich bin ich zu dünnhäutig, wenn ich sage, dass ich Reste dieses Ungeistes bei VW noch zu spüren glaubte. Gewiss geht die Wirkung überwiegend von der Architektur der alten Werksgebäude aus, doch mich haben dort auch andere Sachverhalte beeindruckt.

Zu Beginn der Führung wurden wir in einem Saal begrüßt und instruiert. Während dieser Zeit standen seitlich des Redners Männer und Frauen vom Sicherheitspersonal, die Hände auf dem Rücken und grimmig dreinschauend, dass ich dachte: Die können eine Distel quer fressen. Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts von der engen Verbindung zwischen VW und den Nationalsozialisten wusste, waren mir diese hartmauligen Wachleute wie Abkömmlinge einer zum Glück vergangenen Zeit. Die grimmigen Sicherheitsleute verteilten die Gruppe später auf Wagen-Gespanne, um uns durch die Produktionshallen zu fahren. Da hat niemand von uns Widerspruch oder Sonderwünsche zu äußern gewagt. Und später führte man uns in eine Halle, hoch wie ein Dom, an deren Innenkuppel auf multimediale Weise die Zukunft der „VW-Autostadt“ gezeigt wurde, die gerade im Entstehen war. Es war eine blasphemische, nahezu religiöse Verehrung des Verkehrsmittels Auto, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte.

Einst hatte ich meiner Partnerin von diesem Götzendienst berichtet und von den anderen Dingen, die mir kritikwürdig erschienen. Seither machte sie „Wolfsburg“ zum Synonym meiner gesellschaftskritischen Äußerungen.
„Ach, Wolfsburg!“, sagte sie dann wegwerfend. So war „Wolfsburgnotizen“ eigentlich ihr gewidmet. Indem ich meinen Trennungsschmerz von ihr in Gedichtform veröffentlichte, hatte ich rasch einen großen Leserkreis überwiegend depressiver Menschen. Das war mir schon nach einer Woche unheimlich. Ich wollte kein gefühlsduseliges Gejammer mehr. Da fiel mir ein Teppichhandelsprospekt in die Hände, in dem schon wieder eine herzzerreißende Geschichte erzählt wurde. Der Betreiber war auf Rat seiner Ärzte gezwungen, seinen Teppichhandel aufzugeben, weshalb die Teppiche jetzt zu angeblichen Spottpreisen verschleudert werden sollten. Diese Geschichte habe ich geringfügig umgetextet und einen Ausverkauf der schlechten Gefühle gemacht.

Den durch den Ausverkauf freiwerdenden Teppichhandel habe ich am 12. Novemer 2005 virtuell übernommen und „Teppichhaus Trithemius“ genannt, einmal der Alliteration wegen, aber auch als Reminiszenz an den mittelalterlichen Abt Johannes Heidenberg aus Trittenheim, der seinen Namen in Trithemius latinisierte. Dieser gelehrte Mann, von dem die erste deutsche Geheimschrift stammt, litt allzeit an den mangelhaften Kontaktmöglichkeiten zu den geistigen Größen seiner Zeit. Damals waren Wege und Wasserläufe das Kommunikationsnetz, und in diesem Netz konnte man sich nur langsam bewegen. Hätte er ein Netz wie das Internet gekannt, er hätte sich im Paradies gewähnt. Trithemius war zudem der Lehrer von Agrippa von Nettesheim, dem ersten deutschen Humanisten, und Nettesheim ist mein Geburtsort. Daher heißt meine Filialleiterin Frau Nettesheim.

Ich wollte mein Teppichhaus hell und freundlich. Hier sollte ein freier Geist wehen. Witz, im alten Sprachsinne als die Verbindung von Wissen und Herz, sollte hier zu finden sein.

Diesem Anspruch werde ich nicht immer gerecht, denn auf seltsame Weise bin ich von der lebendigen Interaktion mit Leserinnen und Lesern abhängig. Wenn sie einschläft, schläft auch mein Schöpferdrang. Das Teppichhaus Trithemius.de ist nicht mit einer Plattform vernetzt. Obwohl die Seitenaufrufe beträchtlich sind, ist die Kommentarinteraktion in letzter Zeit eingeschlafen. Deshalb baue ich derzeit ein neues Blogprojekt auf, das Teestübchen Trithemius auf der lebendigen und bestens vernetzten Blogplattform wordpress.com. Besucher sind herzlich willkommen. Im Dezember wird die Plattform Blog.de schließen, wo sich das Stammhaus Trithemius befindet. Inzwischen habe ich die meisten Texte aus dem dortigen Archiv hierher transferiert. Trithemius.de soll aber nicht nur Archiv sein. Hier will ich wenn Zeit und Gelegenheit ist, größere Projekte durchführen. Auch der Roman „Jüngling der Schwarzen Kunst“ soll hier weitergehen.
Ich danke allen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern, die meinen Geist im Laufe der Jahre durch ihre Kommentare und ihre eigenen Texte genährt und beschwingt haben.

Gute Grüße,
Trithemius

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10 Kommentare zu Zehn Jahre Teppichhaus und ein neues Projekt

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