Jüngling der Schwarzen Kunst – Berichtsheft 1 – Prolog

Nach acht Jahren Volksschule, im Alter von 13 Jahren wurde Hannes Overlack aus Nettesheim ein Jünger der Schwarzen Kunst, indem er in eine Schriftsetzerlehre eintrat. „Aventur und Kunst“ hatte schon Gutenberg seine Erfindung genannt, Aventur bedeutete Wagnis und Abenteuer, denn die Erfindung dieser neuen Technologie war für den gelernten Goldschmied Gutenberg ein wirtschaftliches Wagnis gewesen, an dem er letzlich auch gescheitert ist, Kunst bedeutete handwerkliches Können. Als Druckfarbe ist ursprünglich nur Schwarz, ein Gemisch aus Leinöl und Ruß, zum Einsatz gekommen. Das Synonym Schwarze Kunst liegt daher nah, zumal bis ins 19. Jahrhundert nicht Johannes Gutenberg, sondern Johannes Faust als Erfinder galt, weshalb der Buchdruck lange Zeit als Technik geschimpft wurde, die sich unerlaubter, teuflischer Mittel bediente. Die Gesellen in Overlacks Lehrbetrieb riefen ihn Jüngling. Das ist die Bedeutung von „Jüngling der Schwarzen Kunst“.

Auf den folgenden Blättern aus einem Berichtsheft ist geschildert, wie der naive Jüngling sein Handwerk erlernt und wie er durch die Schrift aus der Beschaulichkeit seines Geburtsortes in eine komplex sich auffächernde Welt versetzt wird, für deren Verständnis ihm anfangs noch die Kategorien fehlen. Zum jungen Mann herangereift und allmählich begreifend, sieht er sich unvermutet mit den Fernwirkungen des Nationalsozialismus konfrontiert. Der Bericht von dieser modernen Aventur und Kunst endet mit dem Niedergang des mittelalterlichen Handwerks und seiner Ersetzung durch Foto- und Computersatz. Das erste Blatt beginnt vor dem Anfang …

Onkel Jupps kleine Druckerei war eine Klitsche. Das merkte der Jüngling aber erst, als er den Beruf des Schriftsetzers lernte. Als er im letzten Jahr der Volksschule war, holte ihn Onkel Jupp in seine Druckerei, quasi zur Berufsvorbereitung. Da trat er in ein wunderliches Reich ein. Er liebte den Geruch von Druckerschwärze, auch den eigenartigen Duft, der aus dem Papierlager kam. Beängstigend fand er den Original Heidelberger Tiegel, das Zischen, wenn die Leiste mit den Saugköpfen das Papier ansaugte, vor allem das stoische Drehen der beiden Greifarme, die dem einen tödlichen Scheitel ziehen konnten, der sich unvorsichtige Weise in ihre Bahn begab. Vom Tiegel hielt er sich fern.

Aber er sollte ja nicht Drucker werden, sondern das edle Handwerk des Schriftsetzers lernen. Die Regale mit den Setzkästen, die Arbeitsgeräte Setzschiff, Winkelhaken, Typometer, Ahle und Pinzette zogen ihn sofort in ihren Bann. Dass er plötzlich frei über die technische Schrift verfügen konnte, zu der in Zeiten vor dem Computer niemand außer den Fachleuten einen Zugang hatte, erfüllte ihn mit Stolz. Erst Jahre später hatte er etwas Vergleichbares erlebt. Es glich dem wunderbaren Gefühl, wenn eine schöne Frau vor ihm die Schenkel öffnete und bereitwilllig Einlass gewährte.

Nachdem Onkel Jupp ihm den Setzkasten und die Handhabung der Arbeitsgeräte erklärt hatte, setzte der Jüngling als erstes eine Liste seiner Karl-May-Bücher. Klar, dafür hätte der Buchdruck nicht erfunden werden müssen, damit ein 12-Jähriger eine Liste seiner Karl-May-Bücher setzen kann, aber eine andere und bessere Anwendung fiel ihm so plötzlich nicht ein. Denn wie der Autor vor einem weißen Blatt Papier zu verstummen droht, so schüchterte die ausgefeilte Technologie des Schwarzen Kunst den Jüngling derart ein, dass ihm gar nichts einfallen wollte.

Da lagen die matt glänzenden Lettern für ihn bereit, um alles zu werden, was man sich an Texten denken kann. Erst mal dachte er gar nichts, sondern war voller Hochachtung für einen produktiven Schriftsteller wie Karl May, dessen gut 70 Romane zu besitzen sein ganzer Stolz war. Außerdem war er noch klein, so klein, dass er bei den schräg aufgestellten Setzkästen nicht an die Großbuchstaben langen konnte, die in den oberen beiden Fachreihen lagen. Er bekam ein Trittbänkchen, auf dem er auf und ab stieg, gleich dem Wagen einer mechanischen Schreibmaschine beim Wechsel zwischen Klein- und Großbuchstaben.

Bei den Engländern und auch den Niederländern liegen die Großbuchstaben sogar in einem Extrakasten, der im steileren Winkel aufgestellt werden kann, weshalb die Groß- und Kleinbuchstaben im Niederländischen bovenkast und onderkast heißen, im Englischen upper and lower case.

Als nächstes fiel ihm ein scherzhafter Text aus dem literarischen Untergrund ein, den er mal gesehen hatte. Es war ein Berechtigungs-Ausweis:

So ein Ausweiskärtchen für die Brieftasche setzte er sich, ebenso ein zweiseitiges Schildchen „Wenn es brennt, bitte wenden!“ Und auf der Rückseite stand: „Jetzt doch noch nicht, du Blödmann!“ Diesen Blödsinn setzte er und druckte er auf der Handpresse für die Korrekturabzüge. Die Schildchen verteilte er an Freunde. Der Ausweis von Buschmeister Bob hingegen war ein Unikat. Den bekam außer ihm keiner. Es sollte sein Privileg sein, in den Busch scheißen zu dürfen, obwohl er in den wenigen Jahren seiner Kindheit nie in derlei Verlegenheit gekommen war.

In der Druckerei stand ein großes Röhrenradion, das den ganzen Tag plärrte. Obendrauf lag ein Gummihammer. Gelegentlich fing das Radio entsetzlich an zu krachen. Dann nahm Onkel Jupp den Gummihammer und versetzte dem Radio einen ordentlichen Schlag aufs Gehäuse. Prompt hörte es auf zu krachen und dudelte weiter Musik. Das imponierte dem Jüngling ungemein. Noch Jahre fand er, dass der gezielte Schlag mit dem Gummihammer die angemessene Weise ist, Technik zu beherrschen.

(Fortsetzung)

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