Zwei Mädchen am Teich und was über Dünndruckprospekte

Zwei Mädchen sitzen vergnügt auf der Wiese und unterhalten sich. Obwohl sie gut einhundert Meter weit weg sind, ist eines von ihnen dauernd zu hören. Es hat eine Stimme wie ein Rasierklinge. Und wie eine Rasierklinge durchaus hübsch anzusehen ist, wenn sie in der Sonne blinkt, so schneidet die Stimme ebenso schön durch die Mittagshitze wie eine heiße Klinge durch Butter. Trotzdem fühle ich mich vom Wohlklang gestört. Wie der Wind im dichten Laub der Bäume rauscht, das kann ich leicht ausblenden. Ich ignoriere sogar, dass es von einem der Schnellwege herüberdröhnt, mit dessen Lärm Hannovers durchgeknallte Stadtplaner jeden Einwohner an jedem Ort der Stadt bedacht haben, als würde der Lärm zur Grundversorgung gehören wie Wasser und Strom. Dieses anhaltend leise Dröhnen auszublenden, ist eine leichte Übung. Doch der Rasierklinge gelingt es immer wieder, das Bollwerk meiner inneren Sammlung zu durchschneiden, weil das Mädchen stets unverhofft spricht, nämlich grad so wie der Wind ihm die nackten Zehen kitzelt.

Nicht weit von hier hat sich eine schokoladenbraune Schönheit bis auf den Bikini entblößt und sonnt sich. Zuerst hat sie telefoniert, dann geraucht, dann hat sie sich auf den Rücken sinken lassen und blättert in einem bunten Dünndruck-Prospekt. Wie sie sich mit dem Wind um die ungehefteten Seiten zanken muss, fällt mir ein, dass ich letztens aufgegeben habe, eine Zeitung zu lesen, weil sie mir zu unhandlich war. Dass ich einmal das Zeitunglesen aufhören würde, weils mir zu unbequem ist, hätte ich nie gedacht. Mich mit dem Wind um einen Werbeprospekt zu zanken, dazu hätte ich überhaupt nicht die geringste Lust. Was soll schon so interessant sein an einem Werbeprospekt, dass man sich damit in die Mittagssonne legt, um minutenlang angestrengt drin zu lesen?

Als ich vor gut sieben Jahren mein erstes Avatarbild gegen das mit dem Aldiprospekt ausgetauscht habe, kritisierte eine Blogkollegin, dem Anspruch meines Blogs gemäß müsste ich doch die FAZ in Händen halten. Aber nein! Ich fand grad den nassforschen Anspruch eines Discounters, informieren zu wollen, so ulkig, weil informieren einst ein Hochwertwort gewesen ist. Gewiss geben die Werbeprospekte einen Einblick in kulturelle Vorstellungen, zumindest in die Ethnologie dessen, was Mensch haben will und konsumieren soll. Das offenbart sich, wenn der Prospekt einige Jahre alt ist und Moden sich verändert haben. Mir gefiel außerdem die Bedeutungsebene, dass man als Blogger etwas von einem Discounter hat, weil die Produkte hier so gut wie nichts kosten.

Eigentlich hatte ich die Idee eines Freundes adaptiert, der auf seine Australienreise das kostenlose Erkelenzer Anzeigenblättchen mitgenommen hatte, um vor dem Opernhaus in Sydney ein Selfie zu machen, auf dem er Interesse heuchelnd im Erkelenzer Anzeigenblättchen liest. Das Anzeigenblättchen hat dann das Selfie stolz abgedruckt. Wenn man mal unbedingt in die Zeitung möchte, so gehts.

Die Mädchen stoßen plötzlich schrille Schreie aus, weil sich ihnen offenbar ein Schwan genähert hat und nach ihren nackten Füßen schnappt. Was genau los ist, kann ich nicht sehen, weil das Ufer dort von Büschen verdeckt wird. Sie begeben sich aber immer wieder erneut in Gefahr, um dann zurückzuschrecken und zu schreien. Zwei Rasierklingen zerfetzen meinen Gehörgang. Sollen sie sich fressen lassen. Eventuell auch von den Schnappschildkröten, die den Teich bevölkern, wie ich dachte, dass Herr Leisetöne mal behauptet hat.

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