Sollen wir unser Geld wegwerfen? Pro und kontra

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat der Architekt und Baubeamte Julius Habicht die Gebäude der Reichsbank entworfen. Eines der Filialgebäude steht in Hannovers Bankenviertel am noblen Georgsplatz. Es hat genau die klotzige Gründerzeit-Architektur, die das Vertrauen zum Geld begründen soll. Man kann sich vorstellen, dass das Geld sich nicht nur über alles erhebt, sondern auch bis tief in die Erde hinab reicht. Das Gebäude beherbergt jetzt eine Filiale der Bundesbank. Ich habe da jüngst eine Kaffeedose voll Münzen gegen nagelneue Euro-Scheine eingetauscht. Etwa dreieinhalb Kilo Münzgeld ergaben 120 Euro, 54 Cent.

Was in den letzten Monaten an Kleingeld in meinem Portemonnaie gewesen war, hatte ich in der Kaffeedose gespart. So war mein Portemonnaie immer schön schlank geblieben, hat durch sein Gewicht in der Gesäßtasche nie meine Hose nach unten gezogen und ich musste an der Supermarktkasse nie nach Kleingeld suchen, denn ich wusste ja, da ist nix.


Teures Geld – in der Kaffeedose – Foto: Trithemius – Größer: Klicken

Anfang Juni hat Ökonomieprofessor Peter Bofinger vorgeschlagen, das Bargeld ganz abzuschaffen. Bofinger gehört zu den so genannten Wirtschaftsweisen, hat sich bislang immer mit einer relativ vernünftigen Minderheitsmeinung der Wirtschaftsweisen hervorgetan. Was ihn jetzt geritten hat, darüber lässt sich nur spekulieren. Vielleicht hat er einen Beratervertrag von einer Kreditkartenfirma annehmen müssen, weil Professoren deutscher Hochschulen, wenn sie überdies die Bundesregierung beraten, so deprimierend wenig verdienen. Bofinger ist nicht der erste Bargeldabschaffer.

Im August 2008
hat das Vorstandsmitglied der Bundesbank, Hans-Georg Fabritius, das Ende des Bargelds vorausgesagt, berichtete damals die Aachener Zeitung (AZ). Fabritius war zu dieser Zeit bei der Bundesbank zuständig für Zahlungsverkehr, musste also wissen, was die Banken im Schilde führen. Man tüftle an einem Bezahlsystem mittels Handy, schrieb die AZ, denn Bargeld ist den Banken einfach zu teuer. „Wer an der Kasse Scheine und Münzen hervorkramt, verursacht Kosten von 30 bis 55 Cent.“

Hättest du nicht gedacht, dass das alte Mütterchen, aus deren Geldbörse die Kassiererin sich die Münzen selbst zusammenklauben muss, dass diese Bargeldanalphabetin nicht nur deine Nerven strapaziert, sondern auch noch sauteuer ist. Ein Grund mehr, ihr das Geld abzunehmen und eine Plastikkarte in die Hand zu drücken. Soll sich ein Beispiel an ihren Hipster-Enkeln nehmen, die längst die Tüte Haribo-Goldbären stolz mit Karte zahlen, die Arschkrampen. Schneller als Oma sind sie freilich nicht, wenn die Karte dreimal ins Lesegerät geschoben werden muss, bis sich endlich was tut. Oder auch nicht wie 2013 in Belgien und Luxemburg, als am letzten Einkaufstag vor Heiligabend das gesamte elektronische Bezahlsystem zusammenbrach. Überlast oder Hacker?

Die letzte Bargeldanalphabetin wird abgeführt – Foto: Trithemius – Größer: Klicken

Weitere Kontra- und Pro-Argumente: Wie soll bargeldlos zahlen, wer kein Girokonto hat? Für Unternehmen und Behörden existiert er gar nicht, weshalb man eigentlich ein Grundrecht auf ein Konto einführen müsste, was es aber noch nicht verbindlich gibt, nachdem die Postbank privatisiert wurde. Wenn erst einmal das Bargeld abgeschafft ist, dann wird es nicht anders gehen. Aber! Sobald die Geldinstitute uns ein neues Bezahlsystem aufgeschwatzt haben, das ja, ach, soviel preiswerter ist als Bargeld, sobald sie das Monopol auf Zahlungsmittel haben, dann wird ihnen einfallen, dass die Kosten doch immens sind, und dann können sie nach Lust und Laune Gebühren abzocken. Sie stehen dann immerzu wie Zolleintreiber zwischen dir und deinem Geld, verdienen an jedem Zahlvorgang und wissen schamhaarklein, was du so alles einkaufst.

Warum auch nicht? Musst dir eben abgewöhnen, so gschamig zu sein wie der Typ im “Tina!-Wat-kosten-die-Kondome?!”-Werbespot. Die Geldinstitute können das Wissen um deine Vorlieben, Neigungen und deinen Kondomverbrauch natürlich an die Werbewirtschaft verkaufen, damit endlich Schluss ist mit der ineffizienten Werbung ins Blaue. Ungezielt ausgestreute Werbung wie Postwurfsendungen oder Zeitungsbeilagen haben einen Erfolgsquotienten von 1:10.000. Das bedeutet, man muss 10.000 Prospekte drucken und verteilen lassen, um einen einzigen Kunden zu gewinnen. Da ist es doch besser, wenn der eine potente Kunde gleich 10.000 Kondom-Werbungen und passend dazu die für Viagra und Penisvergrößerungspumpen bekommt und die 9.999 anderen bleiben von solchen Sauereien verschont.

Apropos Sauereien: Kann mir doch keiner erzählen, dass Geld, das Oma unter der seit 40 Jahren nicht gewechselten Matratze versteckt hat, nicht schmantig ist und stinkt. Außerdem sind alle Geldscheine mit Kokain kontaminiert, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) im Mai 2010 unter dem launigen Titel „Koks auf deutscher Kohle“ gemeldet hat. Das lässt deine Oma im ganz anderen Licht erscheinen. Oder dich. Wird Zeit, dass die Banken endlich melden können, wer in deiner Familie immer das ganze Koks kauft.

Musiktipp
The Libertines
Gunga Din

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