Lassen Sie uns Fraktur reden

Es ist ein Nachteil der Demokratisierung der technischen Schrift, dass typografische Laien, von keinerlei Kenntnis angefächelt, den öffentlichen Raum beliebig verunstalten können. Eine Weile bin ich mit dem Fahrrad öfters an einer Fassade im hannöverschen Stadtteil List vorbeigekommen, die von einer typografischen Katastrophe gezeichnet ist. Der Anblick hat mich jedes Mal geschüttelt. Man kann nur hoffen, dass der Inhaber dieses Ladens von „Schönen Sachen aus alter Zeit“ mehr versteht als von alten Schriften. Über deren Jahrhunderte lange Geschichte will ich hier schreiben.

Die Schriftzeile auf der Fassade hat sich der Händler von einem Stümper anbringen lassen und wusste selbst nicht besser, dass ein Text niemals mit Frakturversalien gestaltet werden darf, weil die Großbuchstaben der Fraktur schlicht unleserlich sind. Deshalb hat sich auf der Fassade bei „ANTIQUITÄETEN“ zusätzlich ein überflüssiges E eingeschlichen.

Die schlechte Lesbarkeit der Fraktur-Versalien hat auch zu einer Panne bei den gefälschten Hitler-Tagebüchern geführt. Für die Einbände der Tagebücher hatte der Fälscher Konrad Kujau einzelne Großbuchstaben der Frakturschrift Engravers Old English in Hongkong gekauft. Dabei hatte er sich vergriffen, das große F für ein großes A gehalten. Deshalb trugen die Tagebücher die Initialen FH. Viele der so genannten Experten, die mit der Echtheitsprüfung der Tagebücher befasst waren, haben das übersehen. Später als es aufgefallen war, suchte man krampfhaft nach Erklärungen und interpretierte FH als “Führer Hitler”.

Eigentlich hätten die Einbände keine Fraktur haben dürfen, was die „Experten“ hätten wissen müssen. Denn die Nationalsozialisten hatten die Fraktur 1941 verboten und damit zum Leidwesen aller Deutschtümler eine zackige Kehrtwendung vollzogen. Bis dato hatte die Fraktur als typisch Deutsch gegolten, die dem eckigen Nationalcharakter der Deutschen entspreche. Der in einem Aufwasch ebenfalls verbotene Bund für deutsche Schrift beteuert das noch heute. Die Begründungen für das Verbot der Fraktur sind freilich sachlich falsch. Die Fraktur-Variante Schwabacher hat sich aus der Gotischen entwickelt, nicht umgekehrt wie im Rundschreiben behauptet wird.

Die Behauptung, ein Jude habe die Schwabacher erfunden, führt der Schriftgießer Karl Klingspor auf die irrige Annahme zurück, der Erfinder trage den Namen des Ortes, aus dem er stammt, was nur bei Juden der Fall wäre. Laut Klingspor gab es zur fraglichen Zeit keine Druckerei in Schwabach. Die Schrift habe sich in Nürnberg entwickelt zu einer Zeit, in der den Juden der Aufenthalt in der Stadt verboten war. Überdies verboten die Zunftgesetze den Juden, das Handwerk des Druckers zu lernen. Den wahren Grund nennt der Marburger Historiker Kurt Dülfer:

„[…] die plötzliche und vorbereitungslose Negierung [der Fraktur]) und ihre Ersetzung durch die als ‚Normalschrift’ bezeichnete Antiqua gehört in den Rahmen der im Nationalsozialismus vertretenen Idee des ‚Neuen Europa’.“

Vor allem erschwerte die Fraktur die schriftliche Kommunikation mit den Verwaltungen in eroberten Gebieten und eignete sich nicht für Propagandaschriften im Ausland. Die Mutmaßung, man habe Metall für militärische Vorhaben gebraucht, ist nicht belegbar. Es hätte vorausgesetzt, dass die meisten Druckereien bereits ausreichend mit Antiqualettern versehen waren, so dass man die Fraktur ausmustern konnte. Wahrscheinlicher ist, dass durch die Umstellung auch Bedarf für Schriftneuguss vorhanden war.

Die Fraktur (von lat. fractura = die Gebrochene) stammt wie die Schwabacher von der gotischen Schrift ab, bei der alle Rundungen gebrochen waren und eckig ausfielen. Sie ist im 16. Jahrhundert in allen europäischen Kulturstaaten gebräuchlich. England und die skandinavischen Länder, mit Ausnahme Dänemarks, ließen schon im 17.Jahrhundert davon ab. Ab dem 18. Jahrhundert gilt die Fraktur als deutsche Schrift. Der Duden erklärt:

„Die gebrochenen, eckigen Formen der Frakturschrift wurden gegenüber der weichen Lateinschrift als derb und grob empfunden. Das kommt anschaulich zum Ausdruck in der im 17.Jahrhundert aufkommenden Redensart ‚Fraktur reden’ – eine deutliche und grobe Sprache sprechen“

Entsprechen fand Martin Luther: „[…] die lateinischen Buchstaben hindern uns über Maßen sehr, gut deutsch zu schreiben.“ 1553 findet der Schreibmeister Wolfgang Fugger: “Es will nit schön sehen, so man die Teutschen Sprach mit lateinischen Buchstaben schreyben will.“



Die Gotische – die grobe Mutter aller Frakturschriften – Hier zeigt sich die stilistische Verwandtschaft von Schrift und Architektur – Größer: Klicken

Gegen die Antiqua wandte sich auch Goethes Mutter. Am 15. Juni 1794 schrieb sie an ihren Sohn, sie sei froh, dass er den Reineke Fuchs nicht mit „den mir so fatalen lateinischen Lettern“ habe drucken lassen. „Beym Römischen Carneval, da mags noch hingehen – aber sonst im übrigen bitte ich dich: Bleibe deutsch auch in den Buchstaben.“ Im 19. Jahrhundert entbrannte ein regelrechter Kulturkampf zwischen Fraktur- und Antiquabefürwortern. Jacob Grimm, der in der Fraktur die Ursache für die fatale Entwicklung der Groß- und Kleinschreibung sah, wurde dafür getadelt, dass er das Deutsche Wörterbuch in Antiqua und in radikaler Kleinschreibung hatte drucken lassen. Am 26.9.1852 schrieb er an seinen Verleger Hirzel:„welcher vernünftige mensch will und mag dann in einem solchen werk [gemeint ist das deutsche wörterbuch] deutsche buchstaben und canzleimäßige schreibung [die Groß- und Kleinschreibung] beibehalten?“ Noch Ende des 19. Jahrhunderts lehnte Reichskanzler Otto von Bismarck die Antiqua kategorisch ab: „Deutsche Bücher mit lateinischen Buchstaben lese ich nicht.“

Die Bücher von Hermann Hesse erschienen auch nach dem Frakturverbot durch die Nationalsozialisten noch in Unger-Fraktur, die Hesse sehr liebte, bis ihn im Jahr 1956 sein Verleger Peter Suhrkamp bat, Antiqua verwenden zu dürfen, denn die junge Generation, die gerade ihre Hesse-Begeisterung entdeckte, könne die Fraktur nur schlecht lesen. Ein Jahr später resigniert der Kunsthistoriker und Kalligraph Werner Doede: „Schon haben […] viele Jahrgänge die Schulen hinter sich gelassen, sie vermögen die gebrochenen, handgeschriebenen oder gedruckten Schriften mit ihren rätselhaften Gebilden der Großbuchstaben kaum noch zu lesen […]. Der Gedanke, dass künftig das geistige Erbe einer vielhundertjährigen Überlieferung in den Schränken der Bibliotheken und Archive zum Verstummen verurteilt sein könnte, ist bedrückend.“ Immerhin: Ein hannöverscher Antiquitätenhändler klatscht sich das geistige Erbe ohne Sinn und Verstand an die Wand.

Ein wenig beachteter Aspekt soll hier noch angesprochen werden: Bis ins 20. Jahrhundert hinein war es üblich, im Fraktursatz alle Fremdwörter in Antiquaschrift zu setzen, wodurch die Fremdwörter eindeutig als Fremdkörper identifizierbar waren. Für den heutigen Leser erscheinen die in Antiqua gesetzten Wörter wie rettende Oasen, die ihm klar und verlockend aus der Bleiwüste der Frakturzeilen entgegen leuchten.

Größer: Klicken – Lies in Antiqua im Deutschen Textarchiv

Als Fraktur noch die übliche Schrift war, muss es genau umgekehrt gewesen sein. Viele Deutsche konnten die Antiqua nicht lesen, und die Praxis, Fremdwörter in Antiqua zu setzen, muss zur Fremdwortfeindlichkeit beigetragen haben, denn Fremdwörter waren ja unerfreuliche Lesebremsen. Fremdwörter in Antiqua verteuerten auch die Satzherstellung enorm und waren den Druckereiverbänden gewiss ein Dorn im Auge. So erklärt sich das Aufkommen der Sprachgesellschaften, deren einziges Ziel die Fremdwortjagd war und noch heute ist. Die Motive haben sich geändert.

Aber noch immer gilt Adornos Befund:

„Fremdwörter sind die Juden der Sprache.“

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