Der mächtigste Magier der Welt ist krank

Beim Mittagstisch im Bio-Supermarkt löffele ich das Angebot des Tages, eine italienische Bohnensuppe. Die Frau neben mir isst einen Salat, wegen ihrer Gluten-Intoleranz sagt sie. Da kommt eine Mutter mit ihrem etwa vierjährigen Sohn daher. Ein etwa gleichgroßes Kind unter ihrem Arm entpuppt sich als monströser Teddybär. „Darf ich meinen Sohn hier zu Ihnen setzen“, fragt sie und bugsiert ihn auf den Platz mir gegenüber. Auf den Stuhl nebenan lässt sie den Riesenbär sinken. Der Junge legt einen schmutzigen Stock auf den Tisch und sagt: „Das ist mein Zauberstab“ und schiebt hinterher: „Ich bin nämlich ein Magier. Der mächtigste Magier der Welt!“

Etwas Unwilliges in mir denkt: „Du kleiner Kackarsch!“ Das hatte sich schon gerührt, als die Frau den mächtigsten Magier mit seinem schmutzigen Stock am Tisch parkte. Aber die Einsicht meldet sich, als der weltmächtigste Magier auf den riesigen Teddy deutet und sagt: „Das ist Max, mein bester Freund.“ Natürlich war die Helikoptermutter in Not gewesen, musste in erster Linie nicht ihren Sohn, sondern vor allem seinen „besten Freund“ irgendwo parken, damit sie unbelastet durch den Supermarkt kreisen könnte und die Hände frei zum Einkauf hätte.

Die Frau neben mir fragt den Jungen: „Du warst bestimmt im Kindergarten.“ „Nein! Ich bin doch krank.“
„Wenn du so ein mächtiger Magier bist, kannst du dich doch gesund zaubern“, sage ich. Er schaut mich tadelnd an: „Ich bin das doch nur im Spiel.“ Aha, wenn’s drauf ankommt, kennt er den Unterschied zwischen seinen Allmachtsphantasien und der realen Welt. Er würde vielleicht auch verstehen, dass ein Bär von der Losbude zwar ein „bester Freund“ sein kann, aber besser zu Hause wartet, weil Mama ihn sonst schleppen muss. Aber Mama ist zu unsicher, ihrem Sohn Grenzen aufzuzeigen. Sonst hätte sie ihm auch schon beigebracht, dass „der mächtigste Magier der Welt“ vermutlich niemals richtige Freunde haben wird, sondern sich mit muffigen Stoffbären begnügen muss, die nicht widersprechen, wenn er der Größte und Mächtigste sein will.

Als junger Vater habe ich manchmal mit meinen Kindern die Sesamstraße geschaut und besprochen. Es gab da ein Lied von hohem pädagogischen Wert, mit dem sich Größenwahn wunderbar eindämmen ließ. Es ist vermutlich in Vergessenheit geraten ist, weil’s nicht in diese Zeit passt:

Egal-Song
Es ist egal, wie groß du bist, da ist immer noch jemand größer als du.
Es ist egal, wie klein du bist, da ist immer noch jemand kleiner.
Es ist egal, wie schwer du bist, da ist immer noch jemand schwerer.
Groß und klein und schwer, es ist egal, du bist wie du bist.

Es ist egal, wie schnell du bist, da ist immer noch jemand schneller als du.
Es ist egal, wie langsam du bist, da ist immer noch jemand langsamer.
Es ist egal, wie weit du springst, da springt immer noch jemand weiter.
Schnell und langsam, weit, es ist egal, du bist wie du bist.

Es ist egal, wie stark du bist, da ist immer noch jemand stärker als du.
Es ist egal, wie schwach du bist, da ist immer noch jemand schwächer.
Es ist egal, wie müde du bist, da ist immer noch jemand müder.
Stark und schwach und müde, es ist egal, du bist wie du bist.

Es ist egal, wie viel du trinkst, da ist einer, der trinkt noch mehr als du.
Es ist egal, wie viel du isst, da isst einer immer noch mehr.
Es ist egal, wie fröhlich du bist, da ist einer immer noch fröhlicher.
Durstig, hungrig, fröhlich, es ist egal, du bist wie du bist.
Groß und klein und schwer, es ist egal, du bist wie du bist.
Schnell und weit und langsam, es ist egal, du bist wie du bist.
Stark und schwach und müde, es ist egal, du bist wie du bist.“

Es geht mich eigentlich nichts mehr an, abgesehen vom Drecksstock am Mittagstisch. Ich bin nicht mehr im Schuldienst, muss mich also nicht mehr mit kleinen Narzissten rumplagen. Aber eigentlich ist’s ein Trugschluss, denn die kleinen narzisstischen Kackärsche von heute sind die Riesen-Arschlöcher von morgen und eine Plage für jeden.

Musiktipp
Rihanna, Paul McCartney & Kanye West
FourFiveSeconds


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