Ein Herr Gniffke ist verärgert

Herr Dr. Kai Gniffke ist Verlautbarungsjournalist, als Chefredakteur der beinah regierungsamtlichen Tagesschau sogar der oberste Verlautbarungsjournalist. Er ist quasi der verlängerte Arm der Herrschenden. Weil er ihre Heilsbotschaft in die Welt sendet, weil er ihr Bild prägt, ohne dass niemand von den Herrschenden je erführe, ist er sogar mehr als ihr verlängerter Arm. Fest glaubt er, der Schwanz zu sein, der mit dem Hund wedelt.

Hat er nicht Recht? Wenn sich beispielsweise die Lenker dieser Welt in Paris zusammenfinden, um gemeinsam Trauer und Solidarität mit den Anschlagsopfern zu bekunden, wenn sie sich Arm in Arm, Hand in Hand aufstellen zu einer ersten Reihe des Trauermarsches, die nicht lang genug sein kann, dass alle darin Platz finden, wenn sie dann gemessenen Schrittes auf einen wuselnden Haufen von Kameraleuten zutrippeln, auf dass ein symbolträchtiges Bild entstehe, ja, dann ist das eine wirkmächtige Botschaft.

Niemals würde einem Verlautbarungsjournalisten einfallen, dieses Symbolbild zu zerstören und durch die Wahrheit zu verzerren, dass nämlich die Staatenlenker nicht den Trauermarsch angeführt haben, sondern separiert vom gemeinen Volk gegangen sind. Diese Verzerrung muss nicht berichtet werden, findet Herr Gniffke. Ist es etwa Schuld der Staatenlenker, dass man den Pöbel nicht in ihre Nähe kommen lassen darf? Umgeben sie sich freiwillig mit Sicherheitsleuten, Schranzen, Speichelleckern, Büroschwengeln und Büromiezen? Reicht dieses Pack, mit dem sie notgedrungen umgeben sind, nicht als darzustellendes Volk? Und muss der Plebs an den Bildschirmen erfahren, dass der Trauermarsch der Staatenlenker und gekrönten Häupter nur wenige Schritte lang war, weil die fürs Bild inszenierte Einigkeit naturgemäß zerbröseln muss, sobald die Kamerameute gesättigt ist? Wenn die Wirklichkeit so platt und banal ist, dann muss man sie als verantwortungsvoller Journalist besser erfinden, zumal ja die Herrschenden sich völlig anders verhalten würden, gäbe es nicht die mediale Berichterstattung.

Wenn Herr Gniffke sich und seine Redaktion beim Erfinden ertappt sieht, wird er richtig sauer und schreibt böse Worte ins Tagesschau-Blog, schreibt: „Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt wieder richtig auf die Fresse bekomme: Mir langt’s. Heute geistern schon wieder wilde Verschwörungstheorien durch soziale und traditionelle Medien. Kritiker bemängeln, dass die Darstellung der Staats- und Regierungschefs am Sonntag in Paris eine reine Inszenierung gewesen sei. Ich möchte versuchen zu erklären, warum ich das für kompletten Unfug halte.“

Warum ist das Unfug? “Kein Foto zeigt ‚die’ Realität“, erklärt Herr Gniffke. Und weiter: „Jedes Foto zeigt einen Ausschnitt, und gleichzeitig gibt es viel mehr, was das Foto nicht (!) zeigt. Das ist kein Frisieren, kein Zensieren und kein Inszenieren. Das ist Journalismus, das ist die Auswahl von Bildern, Ausschnitten und Fakten. Das ist harte journalistische Arbeit, die sich an ethischen und handwerklichen Standards messen lassen muss.“

Ja, genau, Recht hat er! Es ist nur so: Ein Verlautbarungsjournalist setzt seinen Ehrgeiz daran, die Mächtigen gut aussehen zu lassen. Er streut seinem Publikum Sand in die Augen oder zündet Nebelkerzen. Ein kritischer Journalist nimmt sein Publikum ernst. Er vermittelt ihm einen möglichst klaren Blick auf das Geschehen und (!) hinter die Kulissen. Das sind zwei unterschiedliche ethische und handwerkliche Standards. Hier hätte Herr Gniffke die Wahl, denn nicht die Mächtigen zahlen sein Gehalt, sondern das Volk zahlt es per Rundfunkgebühr- Zwangsabgabe.

Herr Gniffke scheint zu spüren, dass er sich für die falschen Standards entschieden hat, und weil er endlich wieder in Ruhe an der Wirklichkeitsdarstellung herumbasteln will, pappt er allen Kritikern ein ganz böses Wort auf die Stirn: „Verschwörungstheoretiker“. Es gehört in die Reihe übler Wortprägungen wie „Putinversteher“, „Wutbürger“, „Gutmensch“ und sogar „Lügenpresse“, Wörter, die Menschen mit Geschmack und Verstand lieber nicht benutzen sollten. Weil er es getan hat, und ihm offenbar bessere ins Gewissen geredet haben, musste er sich tags darauf im Tagesschau-Blog entschuldigen. In der Sache sieht er sich allerdings bestätigt und beruft sich auf den Medienjournalisten Stefan Niggemeier und den Tagesspiegel.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie Oma Dingenskirchen sich zuerst den Tagesschaubericht angeschaut, dann das Hin und Her über Tage hinweg aufmerksam verfolgt, sich im Tagesschaublog, bei Niggemeier und im Tagesspiegel kundig gemacht hat, um endlich ein klares Bild von den Geschehnissen zu haben. Eine Oma hat ja Zeit und fällt grundsätzlich nicht auf Berichterstattung herein, in der man ihr ein X für ein U verkaufen will. Also weiter so, Herr Gniffke!

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