Fest der deutschen Einheit in Hannover – aus begrenzter Sicht

In Hannover, so hört man, wurde zum Tag der Wiedervereinigung ein großes Fest gefeiert und zwar rund ums Rathaus, im angrenzenden Maschpark und drüben am Maschsee auch, wo schon mittags solche Menschenmassen signalisiert wurden, dass kein Durchkommen wäre. Es wäre auch viel Prominenz da gewesen, lauter Ehemalige. Ich habe ein Foto gesehen, wie sie in der ersten Bank der Marktkirche rumgesessen. Von denen war der geringste wohl der zum Rücktritt gezwungen wordene Exbundespräsident Dingens Wulff, neben der dem Trunk ergebenen Exvorbeterin der evangelischen Kirche, Tusnelda Käsmann. Dann machte sich da noch ein Mann breit, der mal Bundeskanzler gewesen war und sich Герхард Schröder mit Frau schimpft. Aus der Ex-DDR waren eine Frau Merkel und ein Herr Gauck angereist, weil sie nicht mehr durch eine fürsorgliche Mauer daran gehindert werden konnten. Aus deren Sicht gewiss ein Grund zu feiern. Gastgeber dieser durchaus zweifelhaften Feier war ganz Niedersachsen, also ich auch, vertreten durch Ministerpräsident Kurt Weill, der zum Vereinigungsfest eigens eine Hymne komponiert haben soll, die aber leider nicht gespielt wurde.

Die Elite Deutschlands hatte sich also eingefunden, um zu feiern, sich hofieren zu lassen und nach dem anstrengenden Kirchgang und Wiedervereinigungsgerede mal wieder exquisit zu speisen und zu saufen, auf Kosten der Wiedervereinigten, versteht sich. Unter besonderer Beobachtung stand beim Bankett diese Frau Merkel, die ja laut Helmut Kohl bis zur Wiedervereinigung nicht mal mit Messer und Gabel essen konnte.

Nachdem ich eher zufällig vom Auftrieb der großen Zylinder gehört hatte, lockte mich die Sonne nach draußen, und ich fuhr auf Umwegen Richtung Maschsee, nämlich zu seiner Südseite hin. Es war da natürlich auch viel Volk. Schon als ich auf den Rundweg um den Maschsee einbiegen wollte, gab es einen für mich unerwarteten Verkehrsstau, so dass ich beinah eine Frau umgefahren hätte, die plötzlich vom Rad abgestiegen war, weil sie darauf hoffte, dass zwei im Weg herumstehende Männer von der „Wasserrettung“ den Verkehr regelten. Die fortwährend ertönenden Jubelrufe galten aber nicht meiner Ankunft am Maschsee, sondern der neuen Größe Deutschlands. Ein Radfahrer auf der anderen Seite der vorbei fließenden Leine sang lauthals das Deutschlandlied. Ich versichere: Die Verwirrung hatte schon um sich gegriffen, bevor ich eintraf.

Schon ganz erschöpft von dem Quatsch und der unerwartet warmen Herbstsonne fand ich fast am Südende einen Sitzplatz auf einem Ensemble aus vier langen Bänken, von wo ich über den stillen See hinweg die anderen Ufer sehen konnte. Der Rummel am weit entfernten Nordufer war zu ahnen. Eine ganze Weile saß ich da unter hohen Trauerweiden und konnte mich nicht entscheiden, näher an das Spektakel heranzufahren, obwohl gleich nebenan zwei alte Damen, die sich gerade erst kennen gelernt hatten, fürchterliche Krankengeschichten austauschten. Es fielen die Worte „Krebs am Kopf der Bauchspeicheldrüse“ und als wäre das nicht schlimm genug, sagte die eine stolz, wie sie gehört habe, gäbe es auch einen Schwanz der Bauchspeicheldrüse. Folglich könne sich der Krebs auch da ansiedeln. Jedenfalls brauchten die nicht zu denken, ich wäre ein Weichei und bekäme gleich das Grausen. Also blieb ich trotzig sitzen, bis die gegangen waren, um sich von höchst schmerzhaften Chemotherapien ihrer glücklich verröchelten Ehemänner zu erzählen, ersatzweise von Totaloperationen, Lobotomie und Gnadenschuss.

Dann fuhr ich zur anderen Seeseite wie zurück ins Leben. Gegen Norden fing der Rummel an und verdichtete sich bald, dass ich mein Fahrrad parken musste. Wo man normalerweise am Seeufer durch eine Allee promenieren kann, war jetzt die Zeltgasse der „Ländermeile“, worin sich das Volk vor den Zelten der Bundesländer staute.

Ich zwängte mich ins Zelt von Nordrhein-Westfalen. Schließlich bin ich von da. Heimat, o süße Heimat! „Kölsch gibt es da hinten in der dunklen Ecke!“, sagte der Kellner von der Herforder Brauerei. Eigentlich wollte ich ja nur ein Kölschglas, aber ließ mir dann doch ein Sion-Kölsch zapfen, zahlte zwei Euro Pfand für das Glas, so dass ich sicher war, damit das Eigentum an der Kölschstange erworben zu haben. Das Kölsch trank ich am Stehtisch einer Düsseldorfer Altbrauerei, die auch Fassbrause in Flaschen mit Schnappverschluss verkaufte. Am Tisch standen Mutter und Tochter und tranken diese „Limo“. Ich fragte, ob ich sie mit Fassbrause fotografieren dürfe und war erstaunt, wie sich die beiden sofort bereitwillig und routiniert lächelnd in Position stellten.

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Frauen an Fassbrause in Flaschen – fotografiert von Trithemius

In Zeiten der Analogfotografie war man da zurückhaltender. Es wurde ja nur sparsam fotografiert, weil ein Negativfilm für 32 Bilder und die Abzüge recht teuer waren. Vor gut 15 Jahren war ich mit meiner damaligen Freundin, einer Fotografin, in Hamburg. Obwohl sie für alle wichtigen und unwichtigen Zeitschriften fotografierte von Spiegel bis Apothekenumschau, verweigerte sie sich störrisch der Digitalfotografie und hat in der ganzen Woche aus purem Geiz nur drei Fotos gemacht. Derzeit wird sogar fotografiert, wo früher ein Schriftzug genügte. Das Autogramm kommt aus der Mode. Es wurde verdrängt durch Selfies mit Prominenten. Das Wort „Autogrammjäger“ können wir auf die rote Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter setzen.

Also ich habe auf dem Wiedervereinigungsfest ganz schön rumgeknipst, war sogar auf dem Ausstellungscampus der Bundeswehr, wo durchgeknallte Eltern ihre Kinder ganz fürsorglich in Panzer und anderes Mordsgerät setzten, um sie für lebenslanges Gedenken abzulichten. Man weiß ja: Die Bundeswehr schießt noch keine wiedervereinigten Pappnasen, sondern einstweilen nur ausländische Mamas, Papas und deren Kinder tot.

Abends hat es noch eine bombastische Lightshow am und auf dem Maschsee gegeben – Projektionen auf Wasserwänden, Laserlichtspiele in Fontänen und aussschweifendes Feuerwerk. Das alles mit Ballett und E-Musik und viel Ah und Oh im vor Staunen sprachlosen Publikum.
Da war ich aber schon lange zu Hause.

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8 Kommentare zu Fest der deutschen Einheit in Hannover – aus begrenzter Sicht

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