Der Chinese in mir lacht noch nicht

Obwohl ich schon eine Weile auf diesem Planeten herumlaufe, tue und erlebe ich immer noch Dinge, die ich nie zuvor getan oder erlebt habe. Gestern ließ ich mich beispielsweise akupunktieren. Als ich noch in Aachen lebte, da liebte ich eine Frau, die das wegen chronischer Beschwerden alle vier Wochen mit sich tun ließ. Ich habe sie oft begleitet, denn ihr Akupunkteur hatte seine Praxis in der schönen niederländischen Stadt Maastricht. Ich brachte sie bis zur Tür, sah sie reingehen und holte sie wieder ab. Über die Behandlung mochte sie nicht gern reden. Deshalb hatte ich auch bislang keine Vorstellung von Akupunktur.

Jetzt schon. Wie ging das zu? Ich wurde in einen Raum mit schummriger Beleuchtung geführt. Sie kam von einer Stehlampe auf einem Schränkchen, die gleich einer fleischfressenden Pflanze eine Fülle von Stängeln in alle Richtungen streckte. Am Kopf jedes Stängels saß ein kleiner runder Lichtkörper. An der Wand stand ein Wasserbett mit einem geschlossenen, aber technisch wirkenden Unterbau und einem Steuerelement, das auf einem schlanken Metallarm montiert war. Ich saß wartend in einem Plastiksessel.

Der Arzt trat ein, reichte mir die Hand und erklärte, was er zu tun gedenke, nämlich Schädelakupunktur anzuwenden nach der Methode eines japanischen Arztes namens Toshikatsu Yamamoto. Den Vornamen habe ich eben gegoogelt. Dieser Mann soll, obschon Japaner, die jahrtausende alte chinesische Technik der Akupunktur weiterentwickelt haben zur Yamamoto New Scalp Acupuncture (YNSA). Hört sich nicht so schön an, aber dass es um meinen Skalp geht, wusste ich glücklicher Weise noch nicht. Auf Geheiß des Arztes setzte ich mich wieder auf den Stuhl, er trat neben mich und setzte mir fünf Nadeln, stach drei in die Stirn, eine in die linke Halsbeuge, eine in den Spann meiner linken Hand.

Es tat durchaus weh, etwa als würde man sich ein Haar auszupfen. Aber der Unterschied ist wohl das Bewusstsein, dass da Fremdkörper in den eigenen Körper gestochen werden, auch wenn’s nur „ganz dünne Nadeln“ sind. Dieses Wissen machts schmerzhafter als es ist. Ich fragte: „Wie lange bleiben die drin?“ „Zwanzig Minuten, dann kommt eins von meinen Mädels und zieht die Nadeln wieder raus.“ Ich dachte schon, das werden wohl lange zwanzig Minuten, aber er sagte, ich solle mich auf den Rand des Wasserbettes setzten, mich hineingleiten lassen und mich mittig hinlegen. „Für mich liegen Sie jetzt gut. Wenn es auch für Sie richtig ist, geht’s jetzt los“, sprachs und war weg. Im Wasserbett fing es sanft zu schaukeln an, dann spürte ich links und rechts der Wirbelsäule starke Wasserstrahlen sprudeln, die zu wandern begannen, bis hinunter zu den Oberschenkeln. Hinfort hatte ich damit zu tun, die kräftigen Massagen zu verfolgen und zu raten, welche Körperregion wohl als nächstes drankam. Derweil hatte ich die Nadeln vergessen. Nur eine in der Stirn und die im Handspann spürte ich noch.

In der Ferne klingelte eine Küchenuhr, und pünktlich lag das Wasserbett still. Dann kam auch schon das angekündigte „Mädel“, um die Nadeln zu ziehen. Im Frühling 1810 wagte der französische Arzt Louis Berlioz eine erste Akupunkturbehandlung in Europa an einer 24-jährigen Patientin, in deren Verlauf eine Nadel im Körper der Frau verloren ging. Sie konnte nicht mehr gefunden werden, richtete aber keinen Schaden an.

Glücklicherweise war das „Mädel“ vom Arzt instruiert. „Fünf Nadeln“, sagte sie, wolle sie ziehen. Eine sitze etwas versteckt. Es war die in meiner Halsbeuge unter meinem Hemdkragen, die ich noch nicht vergessen hatte. Aus einem der Einstiche in meiner Stirn trat ein bisschen Blut aus, sonst war alles gut. Ob es was genutzt hat, kann ich nicht sagen. Ich fahnde noch nach dem lachenden Chinesen in mir.

Musiktipp
Blaudzun
„Too Many Hopes for July“

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