Komisches Design – über die Kondomisierung der Dinge

Das Wort „Husse“ ist mir spät im Leben begegnet. Ich musste fünfzig werden, bevor der Weltgeist mich für gefestigt genug hielt, das visuelle Unglück „Husse“ kennenzulernen. Damals trat ein junger Kollege in mein Leben ein, mit dem ich mich anfreundete. Nicht lange, da waren wir so vertraut, dass er mich arglos zu sich einlud. Er hatte alle Stühle am Esstisch unter komischen Überzügen verborgen, verlor darüber aber kein Wort. Er fand es offenbar normal. Ich wollte nicht als Banause dastehen, sagte also auch nichts, zumal sich damals die Ehefrau gerade von ihm getrennt hatte und ich dachte, die Kondomisierung der Stühle stammte noch von ihr.

Natürlich war ich schon einmal bei einer Sparkassen-äh-dingens … gewesen. Ich glaube nämlich, dass die Hussen von den Sparkassen unters gemeine Volk gebracht worden sind. Sparkassen sind ja Körperschaften des öffentlichen Rechts, die einen Teil der Gewinne für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen müssen. Daher der Schulservice, die Kunstausstellungen in Kassenhallen, Förderpreise und dergleichen. Mit dem Schulservice der Sparkasse hatte ich als Lehrer manchmal zu tun und hatte bei der Leiterin des Schulservices „einen Stein im Brett“. Manchmal wurde ich zu Sparkassenveranstaltungen* eingeladen. Der Kassenraum war dann zweckentfremdet; es wurden Getränke und Häppchen gereicht, und man stand an Stehtischen. Diese Stehtische waren verborgen unter weißen Hussen. „Stehtischhussen“ gaben der Kassenhalle etwas unschuldig Festliches.

Der Essbereich meines Kollegen wirkte demgemäß ein wenig festlich auf mich, fast wie ein umdekorierter Kassenraum. Ich weiß ja nicht, welche brechreizenden Speisen seine Exfrau gereicht hat. Aber damals dachte ich wohl, wenn ich mal welche aus Gewinnsucht vergiften will, dann dekoriere ich Tisch und Stühle ganz unschuldig mit weißen Hussen wie bei der Sparkasse. Das Wort Husse kannte ich aber immer noch nicht. Erst als mir der Kollege einmal diesen hübschen Text zu lesen gab, begegnete es mir ganz unerwartet.


Damit Tische und Stehtische sich nicht ungezügelt fortpflanzen: Alle keusch hussiert – in der Stadthalle Hannover (Bonatz Saal) – Foto: Trithemius (Größer: Klicken)

Wie das im Leben so geht, kennt man das Wort, begegnet einem überall und allerorten die Sache. Es kann natürlich auch sein, dass Ikea die Hussen ins Programm genommen und somit zu ihrer volksnahen Verbreitung beigetragen hat. Weil Hussen genau besehen etwas ungemein Komisches haben, aber inzwischen keine Sparkasse, keine Hotel, kein Kongresscenter, kein Fest auf Stehtischhussen (Schlauchhussen) verzichten kann, glaube ich fast, hinter dieser Verblendung stecken die Hussiten und deren Prophezeiung wider die Unkeuschheit: Tagungen gehen daneben, Konferenzen werden scheitern, Parteien sich zerstreiten, Hochzeiten übel ankommen, wenn die Hussen fehlen.
Also sprach der Prophet: „Möbel ohne Hussen sind wie Gäste ohne Hosen.“


*)
Bei einer dieser Sparkassenveranstaltungen ( es sprach ein Professor für Pädagogik) hörte ich von ihm folgenden Witz:
Ein Finne, ein Schwede und ein Däne sollen hingerichtet werden und haben jeweils noch einen letzten Wunsch frei. Der Finne sagt: „Ich will mich noch einmal richtig besaufen!“ Der Schwede sagt: „Ich habe während meines Gefängnisaufenthaltes Psychologie studiert und möchte einen Vortrag halten über die Besserung des Menschen durch Erziehung.“ Da sagt der Däne: „Und ich möchte hingerichtet werden, bevor der Schwede seinen Vortrag hält.“

Dieser Beitrag wurde unter Ethnologie des Alltags abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

10 Kommentare zu Komisches Design – über die Kondomisierung der Dinge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.