Griechenland – Success Story ohne Demokratie

Gastautor Dr. Gregor Kritidis hat Politikwissenschaft in Hannover und Athen studiert und arbeitet hauptsächlich in der Erwachsenenbildung. Sein Artikel vom November 2011 hieß noch „Demokratie in Griechenland zwischen Ende und Wiedergeburt“. Die Möglichkeit der Wiedergeburt hat für Griechenland hoffen lassen. Drei Jahre später zeichnet Kritidis das düstere Bild einer Postdemokratie.

In keinem anderen Land der EU ist es im Zuge der Weltfinanzkrise zu derart starken sozialen und politischen Verwerfungen gekommen wie in Griechenland. Die Ursache der Misere, so die vorherrschende Lesart, sei eine Mischung aus südeuropäischem Schlendrian und balkanischer Vetternwirtschaft. Diese Deutung steht jedoch insofern auf wackeligen Füßen, als der Anstieg der staatlichen Neuverschuldung infolge der Bankenrettungs-Programme keinesfalls eine griechische Besonderheit war. Das Besondere an Griechenland war und ist, dass die sozialen und politischen Eliten aus eigenem Antrieb zur Umsetzung des Austeritätsprogramms auf die Hilfe der EU und des IWF zurückgegriffen haben. Historisch ist dieses Vorgehen keinesfalls einzigartig, die griechischen Eliten haben sich bei schwerwiegenden innenpolitischen Krisen stets der Unterstützung ausländischer Mächte rückversichert.

Knebelverträge zur Staatsrettung

Seit dem Abschluß der Kreditverträge vom Mai 2010 zwischen den Staaten der Eurozone sowie dem IWF einerseits und der Republik Griechenland andererseits steht das Land unter Kuratel. Seit 2010 bestimmen die Vertreter der Gläubiger die politische Agenda, und zwar in umfassender Weise. So wurde nicht nur das Budgetrecht des Parlaments vollkommen ausgehebelt, es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der nicht durch die Vorgaben der Gläubiger betroffen wäre. Durch die Verträge und die mit ihnen verbundenen Memoranda wird der griechischen Regierung genau vorgeschrieben, welche Maßnahmen in welchem Zeitraum zu vollziehen sind. Zur Überwachung dieser Vorgaben ist eine eigene Institution geschaffen worden, die Troika, bestehend aus Vertretern des IWF, der EZB sowie der EU-Kommission. Deren Legitimation ist ebenso zweifelhaft wie die der Task-Force, die nach offizieller Lesart im Auftrag der EU-Kommission der griechischen Regierung bei der Umsetzung der Reformen beratend zur Seite steht.
Durch die Kreditverträge ist ganz Griechenland mitsamt allen mobilen und immobilen Sachwerten praktisch verpfändet. Es gibt auch keine Möglichkeit, die Verträge nachträglich zu modifizieren oder juristisch anzufechten. Sie unterliegen auch nicht etwa EU-Recht, wie man annehmen sollte. Ihre Grundlage ist vielmehr das britische Recht, in dem die Position des Gläubigers besonders stark ausgestaltet ist. Der Staatsrechtler Giorgos Kassimatis spricht in diesem Zusammenhang von einer „Aufhebung der Verfassung“ sowie einer „Abtretung von Souveränitätsrechten“ und hat darüber hinaus eine Reihe von Verstößen gegen das EU- und Völkerrecht ausgemacht.

Schock-Therapie zur „inneren Abwertung“

Die drastische Senkung der Masseneinkommen, die sogenannte „innere Abwertung“ ist das ausdrückliche Ziel der Politik der Troika, hinter dem andere Ziele wie die Reform der öffentlichen Verwaltung oder des Steuersystems deutlich zurückstehen. Das liegt in der Logik des Bündnisses zwischen den Gläubigern und ihren Vertretern einerseits und der griechischen Oberschicht sowie ihrer politischen Repräsentanten andererseits begründet. Keine griechische Regierung hat ein Interesse, die eigene Machtbasis ernsthaft zu gefährden. Folglich können keine Reformen umgesetzt werden, die zentrale Interessen der griechischen Oberschicht berühren. Exemplarisch dafür ist die Reform des Steuerwesens, dass – sollte sie jemals ernsthaft in Angriff genommen werden – die de jure und de fakto bestehende Steuerfreiheit der Oberschicht und der oberen Mittelschicht beseitigen müsste. Das bedeutet, dass die traditionellen Formen der politischen Herrschaft, insbesondere der ausgeprägte Klientelismus, nicht beseitigt, sondern im Gegenteil noch befestigt werden. Mit zunehmender Verarmung nimmt die soziale Abhängigkeit der ums Überleben kämpfenden Bevölkerung zu, so dass Formen der Vorteilsgewährung und –nahme einen besonders guten Nährboden finden.

Wirtschaftliche Folgen der Austeritäts-Politik

Durch die Politik der Ausgabenkürzungen und Lohnsenkungen schrumpft die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, dadurch wird die wirtschaftliche Abwärtsbewegung verstetigt, die Steuereinnahmen sinken trotz massiver Steuererhöhungen und der Schuldenberg steigt sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ zum BIP. Die griechische Ökonomie befindet sich in einer deflationären Abwärtsspirale, allen Behauptungen der griechischen Regierung über eine „Success-Story“ zum trotz. Selbst der IWF betrachtet die Resultate der von ihm mitverantworteten Politik im Gegensatz zur EU mittlerweile kritisch, und dafür gibt es handfeste Gründe: Die Austerity-Politik hat die Grundlage für eine massive Umverteilung des Eigentums gelegt, nicht nur durch die nach deutschem Vorbild eingesetzte Privatisierungs-Agentur, sondern auch durch Firmenpleiten und private Notverkäufe. Zudem haben die großen Kapitalgruppen in Griechenland von der Senkung der Masseneinkommen erheblich profitiert. Durch die Rezession sinkt jedoch auch die Schuldentragfähigkeit des griechischen Staates, so dass die Bedienung der Schulden zunehmend in Frage steht – eine Kuh kann man schlachten, gleichzeitig melken kann man sie nicht. Eine erneute Umschuldung in welcher Form auch immer ist daher auf absehbare Zeit unumgänglich.

Verarmung der Bevölkerung

Für die Mehrheit der Lohnabhängigen, Rentner und kleinen Selbstständigen hat die Politik der Troika dramatische Auswirkungen: Die Einkommen sind nach Schätzungen mittlerweile um 35 bis 40 Prozent gesunken, die Arbeitslosigkeit lag im Oktober 2013 offiziell bei 27,8 Prozent, bei jungen Leuten unter 25 Jahren bei 58 Prozent. Zehntausende Familien vor allem in den städtischen Zentren sind ohne Einkommen und auf die Unterstützung durch Suppenküchen und Lebensmittelhilfen angewiesen. Betroffen sind vor allem die ohnehin verwundbarsten Teile der Gesellschaft, d.h. diejenigen Bevölkerungsschichten, die bereits vor der Krise nur über ein geringes Einkommen verfügten. Besonders dramatisch sind die Auswirkungen der Kürzungsvorgaben der Troika im Gesundheitssektor. Offiziell sind rund 30% der Bevölkerung nicht mehr krankenversichert. Inoffizielle Schätzungen gehen davon aus, dass mittlerweile etwa jeder Zweite keine Krankenversicherung mehr hat. Einen Hinweis auf das Ausmaß der Verschlechterung der öffentlichen Gesundheitsversorgung gibt die Rate der Kindersterblichkeit, die zwischen 2008 und 2010 um 43 Prozent angestiegen ist. Nicht weniger dramatisch ist die psychische Situation großer Teile der Bevölkerung. So ist die Selbstmordrate zwischen 2007 und 2011 um 45 Prozent gestiegen.


Die griechische Variante der Postdemokratie

Da sich die Durchsetzung der Austeritätspolitik explizit gegen die wirtschaftlichen Interessen der Mittel- und Unterschichten und damit gegen ihre soziale Integration richtet, macht sie folglich eine Aufhebung demokratischer Partizipationsmöglichkeiten notwendig bzw. setzt sie zu ihrer Durchsetzung geradezu voraus. Die Austeritätspolitik der Troika geht daher mit einer Aushöhlung der demokratischen Institutionen einher. Faktisch ist in Griechenland eine neue Form der politischen Herrschaft etabliert worden, die mit den Begriffen der Postsouveränität und Postdemokratie zutreffend beschrieben werden kann: Formal verabschiedet zwar immer noch das Parlament die Gesetze, ihrem Inhalt nach handelt es sich aber um einen Vollzug der Vorgaben der durch die Troika vertretenen Gläubiger, wobei die kommerziellen Medien, die sich fast ausnahmslos in den Händen weniger Kapitalgruppen befinden, die Regierungspolitik in weitgehendem Maße unterstützten. Es gibt keine größere Versammlung gegen die Maßnahmen der Troika, der nicht mit exzessiver Polizeigewalt begegnet worden wäre. Legitimiert wird das häufig von parastaatlichen Schlägertrupps flankierte Vorgehen der Behörden mit der angeblichen Gewaltbereitschaft der Demonstranten und von den Gerichten verhängten Demonstrationsverboten. Das Streikrecht ist in den letzten Jahren massiv ausgehöhlt worden, mittlerweile werden Arbeitskämpfe mit der Anwendung von Notstandsgesetzen niedergeschlagen, die Streikende mit Gefängnisstrafen und Entlassung bedrohen. Charakteristisch für das Selbstverständnis der gegenwärtigen griechischen Regierung ist auch die handstreichartige Abschaltung des staatlichen Rundfunks ERT per Regierungsdekret im Frühsommer 2013. Dieses Vorgehen ist vor allem deswegen pikant, weil dadurch die Pressefreiheit und die politische Meinungsbildung tangiert worden ist.

Diese Beispiele für die sukzessive Zerstörung der Demokratie ließen sich fast beliebig fortsetzen, insbesondere wenn man die Suspendierung der Menschen- und Bürgerrechte für Gruppen wie Häftlinge oder Migranten einbezieht. Die teilweise unverhohlene Kooperation zwischen staatlichen Institutionen und der faschistischen Goldenen Morgendämmerung, über deren Regierungsfähigkeit vor dem Mord an dem linksgerichteten Rapper Pavlos Fyssas im Herbst 2013 in den Medien offen spekuliert wurde, ist ebenso exemplarisch für den autoritären Charakter staatlicher Politik wie der Skandal um den Generalsekretär der Regierung Panajotis Baltakos, dessen Kooperation mit der Goldenen Morgendämmerung ein deutlicher Beleg für die Funktion faschistischer Parteien zur Durchsetzung kapitalistischer Herrschaftsinteressen sind. Die parlamentarische Demokratie ist in Griechenland nur noch eine Attrappe, hinter der sich ein postdemokratischer autoritärer Maßnahmestaat formiert hat.

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